Das Hiroshima-Tor
eine Trauernachricht. Wie ist ihre Zimmernummer?«
Der Ton des Hotelangestellten änderte sich im Nu. Mit steifen, ungeübten Fingern tippte er etwas in den Computer. »404. Sagen Sie mir, wenn ich irgendwie helfen kann«, sagte der Mann voller Anteilnahme. »Der Aufzug ist rechts um die Ecke.«
»Danke«, erwiderte Adler und folgte Jeff zur Treppe, die neben der Rezeption nach oben führte.
|287| Ohne ein Wort zu wechseln, gingen sie rasch in den vierten Stock hinauf und dort den mit Neonröhren beleuchteten Gang entlang
bis zur Tür mit der Nummer 404. An den Wänden hingen gerahmte Drucke, die das alte Barcelona zeigten.
In wenigen Sekunden hatte Jeff das dürftige, altmodische Yale-Schloss mit dem Dietrich geöffnet. Adler zog Waffe und Lampe
heraus und betrat den dunklen Raum. Jeff schloss die Tür, und Adler richtete den schmalen Lichtkegel aufs Bett.
Auf der einen Hälfte des Doppelbetts drehte Sally Nishikawa sich im Schlaf um.
Jørgensen spuckte den Kaugummi auf die Straße und schob sich einen neuen in den Mund. Er wartete gegenüber dem Hotel
Oliva
fieberhaft auf Carla und Heinz. Allein konnte er gegen die Amerikaner nichts machen.
Er stand vor dem Schaufenster eines Geschäfts für Reiseandenken, Spielzeug und ähnlichen Kram. Der ganze Schund schien aus
China importiert zu sein. Jørgensen erinnerte sich, wie er sich als kleiner Junge immer für die technische Unterlegenheit
Chinas geschämt hatte. Dafür bestand längst kein Grund mehr. Er war nun stolz auf sein Land und setzte große Hoffnungen in
dessen Zukunft. Amerika würde an seinem eigenen geistigen Müll ersticken, und China würde mühelos die Position der führenden
Supermacht übernehmen.
Die Demokratie hatte ihre guten Seiten, aber für ein Land mit 1,3 Milliarden Menschen war sie ein unmögliches Konzept. Man musste zwischen zwei Systemen das Gleichgewicht halten. Jørgensen
wusste, dass der wirtschaftliche Aufschwung in China die Alleinherrschaft der Kommunistischen Partei noch lange nicht bedrohte.
Trotzdem ging nicht alles störungsfrei über die Bühne. Wenn auch der autoritäre Apparat Äußerungen von Unzufriedenheit unter
Kontrolle hielt, so hieß das noch lange nicht, dass es keine Unzufriedenheit gab.
Ironischerweise erzeugten auch die wirtschaftlichen Neuerungen Unzufriedenheit. Wäre das Land eine Demokratie, käme |288| die Durchsetzung der Wirtschaftsreformen deutlich langsamer voran, aber da eine Zentralgewalt das Kommando hatte, konnten
sie schnell umgesetzt werden. Freilich auf Kosten der Menschenrechte.
Was die Lage kompliziert machte, war die ständig breiter werdende Kluft zwischen der unterentwickelten Provinz und den immer
wohlhabenderen Städten. Die urbane Ostküste erwirtschaftete den größten Teil des Bruttosozialprodukts des ganzen Landes.
Plötzlich ging die Eingangstür des Hotels auf. Jørgensen erschrak. Die beiden Amerikaner führten in ihrer Mitte eine unsicher
gehende Frau. Bis zum Wagen waren es keine zehn Meter.
Jørgensen fluchte innerlich. Allein hatte er keine Chance. Er spielte nervös mit seinem Ring, während er zusah, wie die Amerikaner
der Frau auf den Rücksitz halfen.
Dann ging er zu seinem Wagen, nahm die Verfolgung der Amerikaner auf und gab Heinz und Carla neue Anweisungen.
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Pauli Rautio, der Chef der finnischen Sicherheitspolizei, saß am Dienstagmorgen in seiner Wohnung im Helsinkier Stadtteil
Lauttasaari am Schreibtisch. Er war um vier Uhr aufgewacht, hatte sich im Bett gewälzt und die Lage von allen möglichen Blickwinkeln
her durchdacht.
Er wählte die Nummer von Asko Lahdensuo und hoffte, dass der sein Telefon schon eingeschaltet hatte. Es war sieben Uhr, er
rief absichtlich so früh an.
»Hallo«, meldete sich eine frische männliche Stimme.
»Asko Lahdensuo?«
»Jawohl.«
»Hier ist Pauli Rautio von der Sicherheitspolizei.«
Kurze Stille. Im Hintergrund hörte man gedämpfte, hallende Schläge.
»Moment, ich suche mir eine bessere Stelle. Ich spiele gerade Tennis.«
Man hörte Schritte, dann änderte sich die Akustik. »So. Womit kann ich dienen?«
»Sie waren vom 16. bis 18. September in Paris und dort auf einer Seine-Brücke Zeuge eines Mordgeschehens. Ist das richtig?«
»Worum geht es?«, fragte Lahdensuo. Er spielte eindeutig auf Zeit. Seine Stimme war fest und sicher.
»Falls es die Lage erfordert, müssen wir Sie in der Angelegenheit zur Vernehmung vorladen. Schönes Wochenende!«
Rautio legte
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