Das Hiroshima-Tor
Fußgängern auf dem Gehweg bahnte. Vor dem
Grand Hotel
in der Nähe der Oper tobte der Verkehr.
Nach dem Sprung in die Seine und dem Autounfall rechnete er jeden Augenblick mit noch Schlimmerem. Er fühlte sich schwach
und unterlegen.
Novak ging am Portier vorbei in die imposante Eingangshalle, der es an Glanz und Zierrat nicht fehlte. In diesem Gebäude,
das |40| 1862 für Napoleon III. errichtet worden war, hatten schon Winston Churchill und Mata Hari übernachtet, und vor kurzem hatte
sich ein mindestens ebenso geheimnisvoller Herr hier einquartiert, dachte Novak im Lift auf dem Weg in den fünften Stock.
Er betrachtete sich im Spiegel und fuhr sich erneut nervös über das Stirnpflaster. William C. Irons war nicht nur geheimnisvoll, er stellte auch Ansprüche.
Und Novak war es nicht gelungen, an die Diskette heranzukommen.
In die schallisolierte Suite drang kein Verkehrslärm. Der grauhaarige Irons saß neben einem überreich verzierten Kamin in
einem Ledersessel und zündete sich gerade gemächlich seine Pfeife an, als Novak den Raum betrat. Die Atmosphäre war eisig.
»Wir müssen ebenfalls härter durchgreifen«, sagte Irons ruhig und zog an seiner Pfeife. »Du begreifst doch, wie schwer es
jetzt ist, an die Diskette der Russen heranzukommen?«
»Schwer, aber nicht unmöglich«, entgegnete Novak betont selbstbewusst und rückte mit leicht zusammengekniffenen Augen ein
Stück vom Rauch weg. »Wenn man dem Analyseteam glauben darf. Wir brauchen aber für die operative Seite zusätzliche Leute.«
Irons inspizierte die Glut im Pfeifenkopf. »Habt ihr die passenden?«
»War MilCorp jemals nicht in der Lage, Mitarbeiter zu finden, die ihrer Aufgabe gerecht werden?«
»Die P R-Sprüche kannst du im Büro lassen. Sag mir lieber deine Meinung. Wir können für diesen Auftrag nur Topleute gebrauchen.«
Novak strich sich über sein vernarbtes Kinn. Er hatte keinen einzigen freien Kollegen im Sinn, aber die Anweisungen der Firma
waren eindeutig: Zuerst versuchen, mit dem Kunden einen Maximalvertrag abzuschließen, und dann überlegen, wie man ihn erfüllt.
Mit dieser Strategie war MilCorp zu einer der am dynamischsten wachsenden Firmen für militärische Dienstleistungen aufgestiegen.
|41| Novak hatte früher in einer operativen Einheit der CIA gearbeitet, die unter der Kontrolle des Geheimdienstausschusses des
Senats jedoch nicht annähernd so frei agieren konnte wie während des Kalten Krieges. Von der CIA war er am Vorabend des Bosnien-Krieges
auf die besser bezahlte Stelle bei MilCorp gewechselt und hatte seinen Entschluss noch keinen Tag bereut. Er hatte im Krieg
gegen Drogen in Kolumbien und gegen Terrorismus in Afghanistan gearbeitet und war bei vielen sensiblen Operationen dabei gewesen,
die von den USA ausgelagert worden waren. Über das Programm zur Bindung der Mitarbeiter hatte er ein stattliches Paket von
MilCorp-Aktien bekommen, und nun, da das Unternehmen durch die Besetzung des Irak explosionsartig gewachsen war, konnte er
darüber nachdenken, seine Anteile bald zu verkaufen und in Frührente zu gehen.
»Seid ihr in der Lage, gemeinsam mit der CIA herauszufinden, wer beim französischen Geheimdienst Zugang zu den Informationen
auf der KG B-Diskette hat?«, fragte Irons.
»Die Franzosen begegnen uns nicht gerade mit Wärme.«
»Willst du behaupten, wir bekommen das Material von Paris auch nicht, wenn wir mit genügend Nachdruck darum bitten?«
»Die Franzosen können ziemlich schwierig sein«, sagte Novak. »Aber sie haben das Material an die TERA in Brüssel gegeben oder
wollen es demnächst tun. Spätestens dann bekommen wir es in die Hände.«
Irons zog demonstrativ gemächlich an seiner Pfeife, aber sein Blick verriet, wie aufgeregt er war.
»Die TERA ist ebenfalls ein Problem. Sie lassen nur diejenigen Mitarbeiter an die Informationen heran, deren Länder in irgendeinem
Zusammenhang mit den Informationen des Materials auftauchen.« Irons Stimmung verdüsterte sich zusehends.
Novak sprach weiter. »Wenn unsere Konkurrenten zu so heftigen Maßnahmen bereit sind, wie wir es auf der N 7 gesehen haben,
werden sie ihre Bemühungen auch fortsetzen. Wenn sie das Material nicht schon irgendwie von den Franzosen bekommen haben.«
|42| »Je schneller wir die Diskette haben, umso besser. Je mehr Augen ihren Inhalt sehen, umso größer ist das Risiko, dass jemand
dadurch auf eine Idee gebracht wird.«
»Und was ist mit den Ressourcen? Wir brauchen
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