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Das Hiroshima-Tor

Titel: Das Hiroshima-Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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in seiner Laufbahn schon oft erlebt: Wenn Bedrohungen formuliert wurden, konnte das schnell als Übertreibung
     empfunden werden. Bei den Sitzungen des Ausschusses für Notfallpläne in Atomkraftwerken (ANAK) hatte man ihm offen eine zu
     lebhafte Fantasie unterstellt. Wie aus Trotz fuhr Timo fort: »Ganz zu schweigen vom Endlager für den Atommüll. Es ist das
     erste auf der
ganzen Welt
. Es wird noch mehr Publizität und Widerstand erfahren, als wir uns in unseren wildesten Träumen vorstellen können.«
    »Kommen wir trotzdem auf das Hier und Jetzt zurück«, sagte der Leiter der Versammlung. »Wir gehen sämtliche alte Bekannte
     durch, die etwas mit der Betonsabotage zu tun haben könnten. Und das sind nicht viele.«
    »Ist schon mit Frau Larva gesprochen worden?«, wollte Timo wissen.
    »Es liegt hier, glaube ich, kein Hinweis auf die Larva vor. Aber selbstverständlich ermitteln wir auch in diese Richtung.«
    Die Sitzung ging noch eine halbe Stunde weiter. Anschließend fuhr Timo zum Hauptsitz der KRP nach Vantaa, zu seinem früheren
     Arbeitsplatz, und lieh sich dort einen Ford Mondeo ohne Polizeikennzeichen aus. Es war kurz vor halb sechs und bereits vollkommen
     dunkel.
    |46| Bei der Fahrt aus dem Parkhaus und über die Jokiniementie auf den Ring III gingen ihm ununterbrochen die Diskette aus der
     Seine und Rautio durch den Kopf. Würde das Ganze am Ende wie eine unliebsame Stasi-Akte im Safe landen?
     
    Sechs Stunden weiter östlich leuchteten die Lichter von Peking als gleichmäßiger Teppich, aus dem Hunderte von Kränen und
     die Gerippe von Wolkenkratzern ragten. Durch die Straßen bewegte sich ein endloser Strom von Fahrrädern und Autos.
    Die drei Mercedes-Benz, die vom Flughafen kamen, bogen auf die vierte Ringstraße in Richtung Süden ab. Ihnen voraus fuhren
     zwei Polizeimotorräder mit blinkenden Lichtern, ein drittes folgte am Ende. Der Konvoi fuhr zügig an den anderen Fahrzeugen
     vorbei auf die Autobahn Tianjin   – Peking in Richtung Zentrum und an deren Ende auf die dritte Ringstraße nach Westen, bis er Nansanhuan erreichte, ein Gebiet,
     das den staatlichen Sicherheitsbehörden vorbehalten und von einem hohen Drahtzaun umgeben war.
    Ein bewaffneter Wachsoldat kontrollierte die Papiere und öffnete die elektrische Schranke. Zwischen Ziersträuchern und alten
     Gebäuden schlängelte sich ein Gehweg, auf dem Chinesen in dunklen Anzügen mit ihren Aktentaschen unterwegs waren – manche
     im Gespräch, andere allein und in großer Eile. Einige trugen chinesische Militäruniformen. Alle Beschäftigten des Bereichs
     gehörten zum operativen Zentrum der Abteilung für auswärtige Beziehungen. Diese war für die chinesische Auslandsaufklärung
     zuständig und Bestandteil der staatlichen Sicherheitsbehörde.
    Der Konvoi hielt vor einem vierstöckigen Gebäude. Aus dem mittleren Fahrzeug stiegen zwei Chinesen aus, die einen Kurier in
     ihrer Mitte hatten. An dessen Handgelenk war eine feuerfeste Aktentasche befestigt worden.

|47| 6
    Timo holte tief Luft und versuchte seine verworrenen Gedanken zu ordnen. In Gäddbergsjö südöstlich von Loviisa roch es nach
     feuchtem Kiefernwald und Meer. Mit dem Anbruch der Nacht waren die Wolken gewichen, und die frische Luft machte den Himmel
     über dem Meer sternenklar.
    Er hatte den Ford am Rand der unbefestigten Straße geparkt und ging zögernd zu Fuß weiter. Während der ganzen Fahrt von Vantaa
     hierher hatte er darüber nachgedacht, in was für eine Situation der Chef der Sicherheitspolizei ihn gebracht hatte. Timo formulierte
     für sich fertige Sätze, die er Rautio am nächsten Morgen ins Gesicht sagen würde.
    Im Gehen richtete Timo den Blick zum Himmel. Er kannte die Sternbilder nicht, liebte es aber, den Nachthimmel zu betrachten.
     Soile hatte Aaro die Sternbilder schon beigebracht, als der Junge noch nicht einmal lesen konnte.
    Wenige hundert Meter entfernt stand links, zwischen dem Wald und einem kleinen Feldstreifen, ein altes Holzhaus, dazu gehörte
     ein verfallenes Nebengebäude. Beide Gebäude waren im Dunkeln nicht gut zu erkennen, aber Timo wusste, dass sie dort standen.
     Er war bislang dreimal im Haus von Heli Larva gewesen.
    Hinter lichtem Baumbestand, weiter weg, in Hästholm auf der anderen Seite, ragte inmitten der offenen Landschaft ein erleuchteter,
     kastenförmiger Komplex auf: der Kernreaktor Loviisa.
    Timo ließ den Anblick eine Weile auf sich wirken. Das Ganze hatte etwas Unnatürliches. Warum wählte eine

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