Das Hiroshima-Tor
ungutes Gefühl – bekam aber seine Empfindung nicht richtig zu fassen. Während er mit seinem Rover,
Baujahr 1968, zu seinem Landhaus fuhr, strich er sich durch das dünner werdende Haar. Die weiß verputzten Fachwerkhäuser und
die schmalen Gassen, die von der Hauptstraße abzweigten, waren nicht blitzblank, alles hier wirkte sehr belebt.
Vaucher-Langston parkte den Wagen vor seinem uralten Haus. Er fühlte sich jedes Mal gut, wenn er das mittelalterliche Gebäude
sah, das zu den ältesten des Orts gehörte. Die kleinen Fenster waren tief in die dicken Mauern eingelassen, das Dach war mit
Torf gedeckt.
Er trat durch die original erhaltene Holztür in einen fensterlosen Raum und ging von dort in die eigentliche Eingangshalle
weiter, die wesentlich größer war, als man von außen vermuten konnte. An der Decke lagen dicke Balken frei, an denen mit Ketten
ein schmiedeeiserner Kerzenleuchter befestigt war. Den Boden bedeckten glatte, abgenutzte Steinfliesen.
Vaucher-Langston hielt abrupt inne. Die Tür zu seinem Arbeitszimmer stand einen Spaltbreit offen. Er hielt sie immer geschlossen,
ausnahmslos, denn sonst blieb das Zimmer nicht warm.
Zögernd ging er auf die Tür zu und stieß sie auf. Alles im Raum war wie immer. Er hatte Angst vor Einbrechern, wollte deshalb
aber keine Alarmanlage installieren.
Vor dem Kamin lag ein Kuhfell auf den Dielen, und an den Wänden hingen uralte Karten. In den Regalen standen mittelalterliche |61| Bücher und Handschriften. Es war eher der Instinkt oder eine Ahnung als ein fremder Laut, der Vaucher-Langston veranlasste,
sich plötzlich zur Tür umzudrehen. Von dort sahen ihn zwei unbekannte Männer ausdruckslos an.
»Professor Vaucher-Langston?«, fragte der Mann mit den blonden Locken.
»Wer sind Sie?«, fragte der Professor. Seine Stimme zitterte.
»Mein Name ist Kim Jørgensen. Schön, Sie kennen zu lernen.«
Der eisige Tonfall des Kaugummi kauenden Mannes sorgte dafür, dass sich Vaucher-Langstons Atem beschleunigte.
|62| 8
Timo fuhr auf dem Ring III in Richtung Vantaa und telefonierte mit dem Handy, obwohl es verboten war. Er hatte bei seiner
Mutter in Porvoo übernachtet. Der Parkplatz von IKEA, rechts der Straße, füllte sich mit Menschen auf dem Weg zum Samstagseinkauf.
»Im Blut des Opfers war reichlich Schwermetall enthalten. Das deutet darauf hin, dass die Person in einer Gegend mit hoher
Umweltverschmutzung gelebt hat«, berichtete der französische TER A-Mitarbeiter Victor Girault aus Brüssel. Er arbeitete zwar samstags nicht, aber Timo hatte ihn trotzdem angerufen, um sich über die Ermittlungen
zum Seine-Mord auf den neuesten Stand zu bringen.
»Auch der Zustand der Lunge weist in diese Richtung«, fuhr Girault fort. »Die Anteile von Mineralstoffen und Spurenelementen
zeigen, dass die Frau sich einseitig ernährt hat. Die Metallkrone am Schneidezahn, der Silikatzement als Plombenmaterial und
die mit einer bestimmten Masse gefüllten Wurzelkanäle – all das spricht offenbar eindeutig für Russland.«
Timo war mit dieser Information zufrieden. An sich bedeutete sie nichts, aber sie war ein Teil des Puzzles, das hoffentlich
bald komplett wäre. »Was noch?«
»Nichts Besonderes. Paris hat uns gestern Digi-Bilder geschickt, die ein Student auf dem Pont Marie gemacht hat. Auf ihnen
ist nichts Spektakuläres zu sehen, kannst ja mal einen Blick darauf werfen. Die Geschichte trocknet allmählich aus, jedenfalls
was uns angeht. Aber die Amerikaner wollten das Material haben.«
|63| Timo runzelte die Augenbrauen. »Wozu?«
»Sie meinen, das Ganze könnte in einem größeren Zusammenhang stehen.«
»In welchem?«
»Woher soll ich das wissen? O’Brien hat eine Kopie bekommen. Das Material enthält nichts Umwälzendes.«
»Ist es nichts Umwälzendes, wenn daraus hervorgeht, dass die Präsidentin eines E U-Staates eine alte KG B-Handlangerin ist?«
»Möglicherweise ist das Material nicht echt. Es hört sich fast so an, als wünschtest du dir ein paar Leichen im Keller eurer
Präsidentin.«
Timo spürte, wie er rot wurde. Konnte er seinen Eifer so schlecht verbergen?
»Wie kommst du darauf?« Er zwang sich zur Gelassenheit. »Ehrlich gesagt ist das tatsächlich mein innigster Wunsch. Geradezu
ein Wahn von mir ... Aber im Ernst, ich brauche auch eine Kopie von dem Material.«
»Sprich mit Wilson. Wir müssen warten, bis Helsinki offiziell den für Finnland relevanten Teil anfordert.«
Und gerade darauf schien
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