Das Hiroshima-Tor
geliebte Frau schicken.«
Am liebsten hätte Timo mit dem Computer nach der Frau geworfen. Aber er musste sich beherrschen. Das Beste war, an Paavo Nortamo
zu denken, denn er wollte auf keinen Fall so ein haltloses Nervenbündel wie sein Vater werden. Darum tat er alles, um gegen
dessen aggressives Erbe anzukämpfen – immerhin machten dessen Gene die Hälfte seines eigenen Erbmaterials aus.
Timo drehte sich zu Heli um. »Du willst mich erpressen?« Er |53| brauchte seine Stimme gar nicht spöttisch zu verstellen, der Unterton kam von selbst. »Mit der unscharfen Aufnahme einer Webkamera?«
»Willst du damit sagen, dass man dich nur mit technisch gelungenen Aufnahmen erpressen kann?« Heli lächelte – echt und aufrichtig.
»Versuch’s nur«, brummte Timo. Er ging in den Flur, verließ das Haus und schlug die Tür hinter sich zu. Draußen sog er die
kühle Nachtluft ein. Erst hundert Meter weiter blieb er zwischen Kiefern stehen.
Das war ein derber Tiefschlag. Heli Larva hatte ihn wie einen Esel vorgeführt.
Hinter den Bäumen und jenseits der schwarzen, schwach bewegten Meeresbucht leuchteten in der Ferne die Lichter des Atomkraftwerks.
Timo hatte Heli Larva bei Ermittlungen der SiPo gegen sie kennen gelernt, die jedoch zu keinem Ergebnis geführt hatten. Heli
hatte aktiv und unermüdlich auch gegen den fünften finnischen Reaktor gekämpft, vor allem gegen den Atommüll, der im Fels
versenkt werden sollte, und Timo hielt es für nicht ausgeschlossen, dass sie fähig war, ein paar Gesinnungsgenossen anzuheuern,
um Flüssigbeton zu verunreinigen.
Er nahm sein Telefon aus der Tasche und rief den Leiter der Ermittlungen bei der KRP an. Dessen Telefon war ausgeschaltet,
darum hinterließ Timo eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. »Larva ist dabei. Oder weiß wenigstens, wer ...«
Timo überlegte kurz. Er wollte noch etwas hinzufügen, brach aber dann die Verbindung ab.
Was würde er Soile sagen? Sollte er sie besser vor einer Bilddatei warnen, die eventuell kommen würde? Würde Heli sie überhaupt
verschicken? Eine überflüssige Warnung würde nur unnötiges Misstrauen auslösen. Wenn aber Soile die Mail ohne Vorwahnung bekäme ...
Timo schrieb eine SMS an Soile.
|54| In der Rue Washington in Brüssel lag Soile still auf dem Bett, aber in ihrem Inneren tobte ein Sturm. Sie starrte auf das
Muster, das Straßenbeleuchtung und Pappelzweige an der Decke entstehen ließen und das sich mit dem Wind bewegte.
Warum hatte sie den Hauskauf nicht verhindert? Weil sie sich der Wahrheit noch nicht stellen wollte? Weil sie sich selbst
noch nicht sicher war? Oder weil sie wusste, dass Timo und Aaro sich in dem Haus wohl fühlen würden? Auch zu zweit.
Das Handy piepste. Eine SMS.
Soile streckte sich nach dem Apparat auf dem Nachttisch. Ich denke an dich. Wann am Montag und wo ?
Sie lächelte. Sie hatte Patrick verboten, ihr Mitteilungen zu schicken, aber er hielt sich einfach nicht daran. Sie löschte
den Text sorgfältig und kuschelte sich unter die Decke. Da piepste es erneut.
Leicht gereizt von Patricks Übereifer griff sie nach dem Telefon. Falls Aaro noch wach war und die Töne hörte, würde er sie
am nächsten Morgen fragen, wer ihr SMS geschickt habe. Oder in ihrem Handy stöbern. Verschwanden die gelöschten Mitteilungen
auch tatsächlich, oder konnte Aaro sie mit seinen Tricks irgendwie wieder aus den endlosen Tiefen des Menüs zum Vorschein
bringen, wenn er wollte?
Sie las die Wörter, die im Display auftauchten: Wundere dich nicht, wenn du eine mail mit einem komischen Videoclip im Anhang bekommst. Hat mit Ermittlungen zu tun. Eine
Partei will mich mit manipuliertem Bildmaterial erpressen.
Soile las Timos Nachricht mehrmals durch und begriff trotzdem nicht, was er meinte.
|55| 7
Am Samstagmorgen schwebten die ersten Schneeflocken des Herbstes der schwarzen Erde entgegen, auf der sich vom nächtlichen
Regen eine Eisschicht gebildet hatte. Timo wäre auf dem Weg zum SiPo-Hauptquartier fast ins Schleudern geraten. Aaro hätte
seinen Spaß bei so einem Wetter, dachte er. Der Junge vermisste in Brüssel den Schnee.
Es war vollkommen windstill, und eine gleichmäßig graue Wolkenschicht bedeckte den Himmel. In Timos Innerem herrschte ein
wüstes Klima-Durcheinander. Die Ereignisse des Vorabends machten ihn zornig und niedergeschlagen. Inmitten seines Ärgers erinnerte
er sich aber trotzdem lebhaft an Helis nackten Körper, der so plötzlich vor ihm
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