Das Hiroshima-Tor
Dinge erinnern,
die fünfzehn Jahre zurückliegen ...«
»Das kommt darauf an, was damals passiert ist.«
|66| Frustriert drückte Jørgensen auf den Schalter, und der Elektroschock ließ den Körper des Professors heftig aufzucken. Jørgensen
hatte genug von dem schlechten Gedächtnis des Mannes. Er erhöhte die Spannung an dem Gerät, das in einen Aluminiumkoffer eingebaut
war, und versetzte dem Mann einen weiteren Schlag, obwohl er wusste, dass es überflüssig und gefährlich war. Der Professor
wimmerte heiser. Angewidert schaute Jørgensen auf den zitternden Leib des alten Mannes.
Für das »verschärfte Verhör« war Jørgensen von einem Mitarbeiter des chinesischen Ministeriums für allgemeine Sicherheit ausgebildet
worden, der als Fachmann beim Auslandsnachrichtendienst Lehrgänge abhielt. Beim Gonganbu wusste man, wie man Menschen zum
Sprechen brachte. Die staatliche Sicherheitsbehörde war gegründet worden, um feindliche Agenten und Spione aufzudecken und
um revolutionäre Handlungen zu unterbinden, die die Destabilisierung der Volksrepublik zum Ziel hatten.
Vaucher-Langston atmete schwer, und Speichel troff aus seinem Mund. Jørgensen stand seufzend auf. »Es tut mir Leid, dass wir
nicht weitergekommen sind«, sagte er jetzt in freundlichem, sachlichem Ton. Im gleichen Augenblick trat er dem Mann hart in
die Seite und spuckte ihm ins Gesicht.
Jørgensen verließ den Laderaum und setzte sich ans Steuer. Carla stieg auf den Beifahrersitz, Heinz ging nach hinten zu dem
Gefangenen.
»Und jetzt?«, fragte Carla. Ein Pflaster auf ihrer Wange erinnerte an den Autounfall in Paris. Sie befanden sich auf einem
abgelegenen Waldweg, drei Kilometer von Burnford entfernt.
Jørgensen knurrte einen chinesischen Fluch, antwortete aber nicht auf die Frage. Sie redeten untereinander Englisch und nur
sehr selten – nur wenn es garantiert niemand hörte – Chinesisch. Carla war die perfekte Tarnung: Eine schwarze Frau hielt
kein Mensch auf Anhieb für eine Chinesin. Andererseits war sie eine auffällige Frau, und niemand konnte sagen, sie würde in
der Masse untergehen. In Großbritannien gab es da kein Problem, |67| im Gegensatz zu einigen anderen Ländern in Europa. Insofern war Carla schlecht für operative Einsätze geeignet. Ihre Großeltern
waren aus geschäftlichen Gründen in den zwanziger Jahren von London nach Schanghai gegangen.
Das Gegengewicht bildete Heinz, der Sohn eines deutschen Missionsarztes, der sein ganzes Leben in China verbracht hatte. Heinz
war mittleren Alters, mittelgroß, hatte nicht zu helles und nicht zu dunkles Haar und wirkte von den Gesichtszügen wie von
der Kleidung her durchschnittlich. Er verschmolz mit jeder Umgebung. Das Einzige, was ihn von dem perfekten Durchschnittsmenschen
unterschied, war seine außergewöhnliche Bereitschaft zur Gewalttätigkeit.
Jørgensen zog eine Schachtel Streichhölzer aus der Tasche.
|68| 9
Mit dem Telefonhörer am Ohr saß Timo aufmerksam in seinem Leihbüro bei der KRP. Auf dem Bildschirm vor sich hatte er die Seite des TER A-Info -Netzes, auf der die Daten des Studenten, der die Bilder auf dem Pont Marie gemacht hatte, standen.
»Ich kann mich gut an ihn erinnern«, sagte der junge Mann in Paris. »Er kam ziemlich aufgeregt angerannt und hat sich erkundigt,
ob ein Krankenwagen gerufen worden ist.«
»Hatten Sie den Eindruck, dass er womöglich nicht unbedingt bloß als zufälliger Passant auf der Brücke war?«
»Das weiß ich nicht. Aber er war jedenfalls noch aufgeregter als wir anderen. Aber dann ist er fast sofort wieder verschwunden.«
»Hat er Englisch oder Französisch gesprochen?«
»Englisch. Auf mich wirkte er wie ein Schwede. Gibt es denn neue Erkenntnisse?«
Timo beantwortete die Frage ausweichend, bedankte sich für die Auskünfte und beendete das Gespräch. Er war jetzt noch aufgeregter
als zuvor. Die Lage war verworren: Auf dem Bild war ein Mann, der an Harri Lahdensuo, den Ehegatten der Premierministerin,
erinnerte, aber doch ein bisschen anders aussah als er. Hatte er versucht, sein Aussehen zu verändern?
Timo druckte das Bild von dem Mann im Trenchcoat aus. Denn selbst wenn die Diskette nicht echt sein sollte, so war Lahdensuo
doch Zeuge einer Ereigniskette gewesen, die mit einem Mord geendet hatte. Der Mann würde eine Menge Fragen zu beantworten
haben.
Die Identität der ermordeten Frau war weiterhin unbekannt, und man wusste erst recht nicht, wie die KG
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