Das Hiroshima-Tor
Schwelle von allen.
»Sie reinigen die Motoren und besorgen inzwischen Ersatzfahrzeuge«, fuhr Välimäki fort. »Für den Bau gibt es einen knapp kalkulierten
Zeitplan. Man vermutet hier übrigens, dass nicht nur Finnen beteiligt waren. Ich dachte, es ist gut, wenn du das weißt. In
Richtung Medien sind wir so still wie möglich.«
»Halt mich auf dem Laufenden.«
Timo legte auf. Die Polizeiführung hatte der Polizei in Rauma Sondermittel für die Überwachung illegaler Aktivisten und ungenehmigter
Demonstrationen an der nahe gelegenen Baustelle Olkiluoto gewährt. Mit dem Geld hatte man genau zwei Vollzeitstellen einrichten
können. Da aber ein Gelände von 35 Hektar um Olkiluoto 3 und ein noch größeres Gebiet um die Endlagerstelle überwacht werden musste, bot sich Leuten, die sich
rechtswidrig austoben wollten, genügend Gelegenheit.
Timo kehrte zu Soile und Aaro zurück. Soile sah ihn finster an.
Aaro räusperte sich leise. »Wisst ihr übrigens, wie viel Dezibel das lauteste ...«
»Nicht jetzt, Aaro«, sagte Timo steif und erwiderte Soiles Blick. »Die einfachen Fenster dämpfen keine Geräusche. Dreifachfenster
schon.«
»Falls man zwei davon übereinander montiert.« Soiles Laune war nicht die beste.
Timo maß die Räume aus, besonders die Küche, denn der Makler hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, vom Grundriss des Hauses
eine Skizze anzufertigen. Nach der Besichtigung brachte Timo Soile und Aaro zur nahe gelegenen U-Bahn -Station – die war das große Plus des Hauses – und kehrte selbst an seinen Arbeitsplatz in der Rue Adolphe Buy zurück, in
den trostlosen fünfstöckigen Bau aus Backstein und Beton, der das Hauptquartier von TERA beherbergte. TERA –
Agence pour la lutte contre le Terrorisme, Extremisme et Radicalisme
– war eine operative Polizeieinheit der EU, die gegen Terrorismus, organisiertes Verbrechen und Extremisten kämpfte.
|23| Timo hängte sich die Schlüsselkarte um den Hals, nickte dem Pförtner zu und stieg die Treppe zum ersten Stock hinauf, in dem
sich sein Büro befand. Wenn man zehnmal am Tag diese Etage hinaufging, verbrauchte man dabei eine Energiemenge, die den Kalorien
einer halben Praline von Pierre Marcolin entsprach. Und für diesen Genuss war Timo gern bereit, auf den Aufzug zu verzichten.
»Timo«, sagte der Franzose Victor Girault, der ihm auf dem Flur entgegenkam, mit besonderem Nachdruck. »Wilson hat dich schon
gesucht.«
Der Franzose hinterließ süßlichen Haarwassergeruch. Bei der TERA waren Vertreter aus allen Mitgliedsstaaten beschäftigt. Die
Einheit arbeitete geheim und unabhängig von den anderen Organen der EU.
Timo musste eine Etage weiter nach oben, diesmal nahm er den Lift. Tony Wilson, früher Abteilungsleiter beim britischen Geheimdienst
MI5, hatte ein großes, spärlich möbliertes Büro, von dem aus man einen Blick über Dächer und Hinterhöfe hatte. Vor der stark
getönten Fensterscheibe war ein Gitter angebracht. Es sollte verhindern, dass von außen Lasermikrofone eingesetzt werden konnten.
Wilson – ein zäher, kleiner Schotte – bat Timo, Platz zu nehmen, und reichte ihm zwei Fotokopien. »Sind die deiner Meinung
nach irgendwie von Interesse?«
Timo las den russischen Text. Bei TERA genoss er einen guten Ruf als Russlandkenner – er hatte früher als Sonderexperte von
KRP und SiPo in Sankt Petersburg gearbeitet.
»Woher kommt das?«, fragte er leise, ohne seine Verblüffung verbergen zu können.
»Aus Paris. Über den DGSE.«
Timo las weiter. Der französische Auslandsnachrichtendienst war auf seinem Gebiet einer der skrupellosesten in Europa.
Von Wort zu Wort und Satz zu Satz wurde Timo aufmerksamer. Mit dem Daumen strich er über den Stumpf seines fehlenden kleinen
Fingers. »Wie ist der DGSE da rangekommen?«
|24| »Ein Straßendieb auf einer Vespa entriss einer Frau auf dem Pont Marie die Handtasche. Daraufhin wurde er nicht nur von der
Frau, sondern auch von zwei Männern verfolgt. Der Dieb warf die Tasche von der Brücke in die Seine, und die Frau sprang hinterher.«
Timo blickte auf und sah Wilson an.
»Einer der Männer, die der Vespa hinterherrannten, sprang ebenfalls in den Fluss. Er kam kurz darauf wieder an Land. Die Frau
blieb im Wasser. Man hatte ihr die Kehle durchgeschnitten. Ganz professionell.«
»Wer war die Frau?«
»Sie ist noch nicht identifiziert worden. Von dem Mörder fehlt jede Spur. Aber die Fortsetzung ist noch seltsamer.«
Wilson
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