Das Hochzeitsversprechen: Roman (German Edition)
souffliert er.
»Ja, und er wird Noah nicht mehr sehen, aber es ist ihm egal …« Ein kalter Schauer durchfährt mich. »Er hat es mir nicht mal erzählt .«
»Ich dachte, du willst nichts mehr mit ihm zu tun haben. Das waren deine Worte.«
»Wollte ich auch«, sage ich kurzfristig verwirrt. »Will ich. Glaube ich. Aber das ist jetzt so endgültig. Er stößt uns beide von sich …« Irgendetwas wallt schon wieder in mir auf. Irgendetwas Brodelndes und Mächtiges. Ich glaube, es könnte Trauer sein. »Es bedeutet, dass alles kaputt ist. Unsere Familie ist kaputt …« Und dann droht das Brodeln, mich zu verschlingen. »Unsere ganze Familie ist total kaputt …«
»Komm her, Fliss«, sagt Lorcan leise und bietet mir seinen tröstenden Arm. Abrupt weiche ich zurück.
»Ich kann mich doch nicht an deiner Schulter ausheulen«, sage ich stockend. »Guck weg.«
»Natürlich kannst du dich an meiner Schulter ausweinen.« Er lacht. »Wir hatten schon Sex. Weißt du nicht mehr?«
»Das war Sex. Das hier ist viel, viel peinlicher.« Ich schlucke. »Guck weg. Geh woandershin.«
»Ich werde nirgendwohin gucken«, sagt er ungerührt. »Und ich werde auch nirgendwohin gehen. Komm schon.«
»Ich kann nicht«, sage ich verzweifelt.
»Jetzt mach schon, Dummkopf.« Er hält mir seinen Arm hin. Der Ärmel ist voll kleiner Wasserperlen. Und dann sinke ich schließlich doch dankbar in seine Arme, und das Schluchzen schüttelt mich wie ein Erdbeben.
So bleiben wir eine Weile – ich bebend und schluchzend und hustend, und Lorcan streichelt meinen Rücken. Irgendwie muss ich dauernd an Noahs Geburt denken. Es war eine Not- OP mit Kaiserschnitt, und ich hatte schreckliche Angst, aber die ganze Zeit war Daniel im grünen Kittel an meiner Seite und hat meine Hand gehalten. Damals habe ich nicht an ihm gezweifelt. Damals habe keinen Augenblick an irgendwas gezweifelt. Und da könnte ich gleich schon wieder losheulen.
Endlich blicke ich auf und wische mir die Haare aus dem verschwitzten Gesicht. Meine Nase ist zu, und meine Augen fühlen sich geschwollen an. Zum letzten Mal geweint habe ich wahrscheinlich mit zehn oder so.
»Tut mir leid …«, setze ich an, aber Lorcan hebt seine Hand.
»Nein. Keine Entschuldigungen.«
»Aber dein Anzug!« Langsam wird mir bewusst, was wir hier eigentlich tun. Wir sitzen in einem Dampfbad, beide voll bekleidet.
»Schwund gibt es bei jeder Scheidung«, sagt Lorcan ruhig. »Verbuch meinen Anzug einfach unter Schwund. Außerdem«, fügt er noch an, »tut Wasserdampf Anzügen gut.«
»Wenigstens wird unsere Haut sauber«, sage ich.
»Da siehst du’s. Zahllose Vorteile.«
Ein versteckter Mechanismus in der Ecke schnauft frischen Dampf in den winzigen Raum, und die Luft wird immer undurchsichtiger. Ich ziehe meine Füße auf das Mosaik der gefliesten Bank und umarme meine Knie, fühle mich geschützt im Dunst. Irgendwie ist es heimelig. Und außerdem ist man unter sich.
»Als ich geheiratet habe, wusste ich, dass mein Leben nicht perfekt sein würde«, sage ich in den Nebel hinein. »Ich habe keinen Rosengarten erwartet. Und auch, als ich geschieden wurde, habe ich keinen Rosengarten erwartet. Aber ich hatte gehofft, ich kriege wenigstens … ich weiß nicht. Eine Veranda.«
»Eine Veranda?«
»Du weißt schon. Eine kleine Terrasse. Irgendwas, wo ich meine Blümchen pflanzen kann. Irgendwas mit einem bisschen Optimismus und Liebe. Aber inzwischen lebe ich auf einem strahlenverseuchten Schlachtfeld.«
»So gut, ja?« Lorcan gibt ein leises Lachen von sich.
»Und was hast du? Doch auch keinen Rosengarten.«
»Ich befinde mich auf mehr oder weniger unbekanntem Terrain«, sagt er nach einer Pause. »Wie eine Mondlandschaft.«
Unsere Blicke treffen sich im Nebel, und wir müssen nichts mehr sagen. Wir verstehen uns.
Immer mehr Dampf wallt um uns auf. Er scheint heilende Kräfte zu haben. Er fühlt sich an, als würde er belastende Gedanken einsammeln und mitnehmen und so etwas wie Klarheit zurücklassen. Und je länger ich hier sitze, desto klarer wird mir alles. Der Kloß in meinem Hals wird immer größer. Lorcan hatte recht. Nicht nur gerade eben, sondern auch gestern Abend. Er hatte recht. Das Ganze war ein Riesenfehler.
Ich muss diese Mission aufgeben, auf der Stelle. Es blinkt in meinem Kopf wie eine Leuchtreklame. Gib auf. Gib auf. Ich darf nicht weitermachen. Ich darf meine Beziehung zu Lottie nicht aufs Spiel setzen.
Ja, ich will meine kleine Schwester vor demselben Schmerz
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