Das Hochzeitsversprechen: Roman (German Edition)
mich Wogen der Nostalgie und spiritueller Erleuchtung mitreißen. Ich warte darauf, dass ich weinen muss oder mir vielleicht etwas Ergreifendes einfällt, was ich zu Ben sagen könnte. Aber das Komische ist, dass ich gar nicht weinen möchte. Ich fühle mich eher leer.
Von da, wo ich stehe, kann ich die Herberge weiter oben gerade so erkennen. Ich kann die vertrauten ockerfarbenen Mauern und zwei Fenster sehen. Das Haus ist kleiner, als ich es in Erinnerung hatte, und ein Fensterladen hängt schief in den Angeln. Mein Blick schweift über das Kliff. Da sind Stufen in den Fels gehauen, die sich auf halbem Weg teilen. Die eine Richtung führt zum Anleger, auf dem wir stehen, die andere zum Hauptstrand. Sie haben Metallgeländer angebracht, was den Anblick irgendwie verdirbt. Und eine Brüstung oben am Kliff entlang. Und da steht ein Warnschild. Ein Warnschild ? Damals gab es hier keine Warnschilder.
Egal. Bleib positiv.
Ben gesellt sich wieder zu mir, und ich nehme seine Hand. Unser Geheimstrand liegt hinter einer kleinen Landspitze, sodass ich ihn nicht sehen kann und somit auch nicht weiß, ob sich da was verändert hat. Aber wie soll sich ein Strand verändern? Ein Strand ist ein Strand.
»Was wollen wir zuerst machen?«, frage ich sanft. »Herberge? Hauptstrand? Unser Strand?«
Ben drückt meine Hand. »Unser Strand.«
Und da endlich spüre ich eine leise Erregung. Unser Strand. Der Ort, an dem wir uns zum ersten Mal ganz ausgezogen haben, bebend vor heißer, unstillbarer Teenagerlust. Der Ort, an dem wir es drei, vier, fünf Mal am Tag getrieben haben. Die Vorstellung, ihn wiederzusehen, ist so erregend, dass ich zittere.
»Wir werden ein Boot mieten müssen.«
Er wird mich wie damals hinübersegeln, und ich werde die Beine über die Reling baumeln lassen. Und wir werden das Boot auf den Strand ziehen und uns dieses geschützte Fleckchen suchen, und …
»Besorgen wir uns ein Boot.« Bens Stimme klingt belegt, und ich spüre, dass er genauso erregt ist wie ich.
»Meinst du, die vermieten sie immer noch drüben am Hauptstrand?«
»Es gibt nur eine Möglichkeit, das rauszufinden.«
Zuversichtlich zerre ich ihn zu den Stufen. Wir gehen direkt rüber zum Hauptstrand und mieten ein Boot, endlich wird es wahr …
»Komm mit!« Ich hüpfe die steinernen Stufen hinauf, und mein Herz rast vor Aufregung. Fast sind wir schon an der Gabelung der Stufen. Jeden Moment werden wir diesen wohlbekannten Streifen von goldenem Sand sehen, der uns nach all der Zeit erwartet …
O mein Gott.
Schockiert starre ich zum Strand hinunter. Was ist denn hier passiert? Wer sind all die Leute ?
Als wir in der Herberge wohnten, schien der Strand endlos und einsam. Etwa zwanzig Leute wohnten damals in der Herberge, höchstens, und wir haben uns über den Strand verteilt, so hatte jeder genug Platz.
Was ich da jetzt sehe, kommt mir eher vor wie eine Belagerung. Oder der Morgen nach einem Festival. Mindestens siebzig eher ungepflegt wirkende Leute drängen sich am Strand, manche noch in Schlafsäcke gerollt. Ich sehe die Reste eines Lagerfeuers. Da stehen ein paar Zelte. Die meisten scheinen mir Studenten zu sein, wenn ich sie mir so ansehe. Oder vielleicht eher ewige Studenten.
Während wir unentschlossen dastehen, kommt ein junger Typ mit einem Ziegenbärtchen die Stufen herauf und begrüßt uns mit südafrikanischem Akzent.
»Hi, ihr seht aus, als hättet ihr euch verirrt.« So komme ich mir auch vor, möchte ich antworten, ringe mir stattdessen aber lieber ein Lächeln ab.
»Wir … gucken nur.«
»Wir wollten uns mal umsehen«, sagt Ben. »Wir waren vor Jahren hier. Es hat sich sehr verändert.«
»Oh.« Die Augen des Jungen leuchten auf. »Ihr seid welche von denen . Aus den Goldenen Zeiten.«
»Den Goldenen Zeiten?«
»So nennen wir sie.« Er lacht. »Hier kommen viele Leute in eurem Alter her und erzählen uns, wie es hier war, bevor das Hostel gebaut wurde. Die meisten jammern die ganze Zeit nur, dass es nicht mehr so schön ist, wie es mal war. Kommt ihr mit runter?«
Als wir ihm folgen, fühle ich mich doch leicht provoziert. Jammern klingt etwas abfällig. Und in eurem Alter ? Was soll das denn heißen? Ich meine, offensichtlich sind wir etwas älter als er, aber wir sind doch immer noch – mehr oder weniger – jung . Wir gehören noch in dieselbe Altersgruppe.
»Was für ein Hostel?«, fragt Ben, als wir am Strand ankommen. »Wohnt ihr nicht in der Herberge?«
»Einige.« Der Typ zuckt mit den
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