Das Höllenschiff: Historischer Kriminalroman
etwa merkwürdiger, als feindlichen Soldaten zur Flucht in die Heimat zu verhelfen, so dass sie wieder anfangen konnten zu kämpfen?
Morgan bedachte Souville mit einem fast mitleidigen Lächeln. »Ich kann verstehen, dass Sie das so sehen. Es wäre interessant, Ihrem Kaiser dieselbe Frage zu stellen.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Bonnefoux widerwillig.
»Denken Sie denn, es sind nur Schmuggler, die solche Sachen machen, mein Freund?«
Ehe Bonnefoux etwas erwidern konnte, sagte Morgan mit mitleidigem Lächeln: »Falls Sie das denken sollten, dann haben Sie sich geirrt.«
»Ich verstehe nicht«, sagte Bonnefoux skeptisch.
Morgan beugte sich vor und sah Bonnefoux durchdringend an. »Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen erzählte, dass zur selben Zeit, als Sie auf diesem stinkenden Hulk eingesperrt waren, und während Ihre Kameraden tot im Feld lagen oder von Kanonen zerfetzt wurden, englische und französische Händler weiter ihre Geschäfte gemacht und Geld verdient haben, und alles mit Einverständnis und dem Segen ihrer beiden Regierungen?«
Bonnefoux starrte ihn verständnislos an, genau wie alle anderen am Tisch.
»Und ich rede nicht von Leuten wie mir, Leutnant. Ich spreche nicht von Schmugglern. Ich meine ganz respektable Geschäftsleute.«
»Was wollen Sie damit sagen?«, unterbrach Le Jeune ihn.
Morgan stellte sich aufrecht hin und ließ den Blick über die versammelten Männer schweifen. »Eine Frage: Abgesehen davon, dass Sie versuchen, den Feind auf dem Schlachtfeld zu besiegen, was ist Ihrer Meinung nach die sicherste Methode, den Feind in die Knie zu zwingen?«
»Ihre Handelswege anzugreifen.« Lasseurs Antwort kam wie aus der Pistole geschossen.
»Richtig! Sie haben’s erfasst, Captain. Und Sie sollten’s ja auch wissen, nicht wahr?« Morgan hob die Hand und ballte die Faust. »Es ist, wie wenn man eine Festung belagert und gleichzeitig ihren Brunnen vergiftet. Wenn man das tut, quetscht man den Feind aus wie eine Zitrone. Noch schlimmer, man verhindert, dass er Geld verdient. Bonaparte weiß, dass unsere Stärke die Königliche Navy ist. Er weiß auch, dass sie mit den Gewinnen aus unserem Überseehandel unterhalten wird. Deshalb hat er Frankreichs Alliierten verboten, mit uns Handel zu treiben. Das war sein Plan, wie er uns in die Knie zwingen wollte. Nur haben wir leider bei Trafalgar den größten Teil seiner Navy ausgeschaltet. Wir haben auch verhindert, dass er in Kopenhagen Kontrolle über die dänische Flotte bekam, und deshalb musste er sich auf Privateers wie Captain Lasseur verlassen. Das hat auch eine Weile funktioniert, Ihre Kaperschiffe waren verdammt erfolgreich. Aber dann entschloss sich unsere Regierung, das Feuer mit Feuer zu beantworten und ordnete an, alle neutralen Schiffe, die auf dem Weg nach Frankreich waren, in britische Häfen zu zwingen. Das Ergebnis war, dass beide Seiten darunter litten, denn beide Länder haben noch immer Männer auf See und auf dem Schlachtfeld, und ihr Unterhalt ist teuer. Soldaten brauchen Musketen, und Musketen brauchen Kugeln, und die Navy braucht Schiffe und Kanonen. Also was tun?«
Morgan lächelte raffiniert. »Also, kommen Sie, meine Herren. Wir befinden uns zwar im Krieg miteinander, aber das muss doch nicht heißen, dass wir uns nicht wie zivilisierte Menschen benehmen können. Sie hatten doch nicht wirklich geglaubt, dass tausend Jahre Handelsbeziehungen zum Stillstand kommen, nur weil unsere Generäle sich in den Haaren liegen, oder? Natürlich nicht; und deshalb vergeben unsere Regierungen als eine Geste der Kooperation Lizenzen an einige unserer Geschäftsleute, damit sie mit Ihren Geschäftsleuten weiter Handel treiben können, obwohl wir uns im Krieg befinden. Das wird bereits seit drei Jahren so praktiziert. Sie schicken uns Getreide und Brandy und gute Weine, und wir schicken Ihnen dafür Wolle, Baumwolle und Zinn. Und während Ihre Kameraden gekämpft haben und gefallen sind, haben britische und französische Geschäftsleute sich dumm und dämlich verdient – und das alles vollkommen legal.«
Im Raum war es still geworden. Das Frühstück lag vergessen und unberührt da.
Morgan breitete die Hände aus. »Also, fragen Sie sich: Wer ist hier der eigentliche Übeltäter? Wenigstens streite ich nicht ab, wer ich bin und was ich mache. Übrigens operieren wir Schmuggler ebenfalls mit Bonapartes Segen. Warum? Weil er uns braucht, weil er, genau wie unsere Händler, für seine Handelswaren so viele Absatzmärkte haben will
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