Das Höllenschiff: Historischer Kriminalroman
Minutenzeiger auf Viertel nach.
Vielleicht war es ein Omen, dachte er. Die Zeit verging tatsächlich .
Im Vorzimmer schickte Ezra Twigg den Kurier weg und angelte sich seinen Hut.
Er überlegte, ob er vor dem Weggehen um eine sichere Heimkehr beten sollte.
Der Pub zum Hanged Man lag in einer dunklen Gasse hinter der Buckbridge Street. Es war nicht die Sorte Gasthaus, die von Ladys und Gentlemen der gutbürgerlichen Schicht besucht wurde. Seine Kundschaft waren jene, die sich am Rand der konventionellen Gesellschaft bewegten, in der Grauzone zwischen Recht und Unrecht. Spieler, Trickbetrüger, Fälscher und Schuldner; Opportunisten, Verführer, Beschaffer und Liebhaber, sie alle trafen sich im Bierdunst dieser düsteren, verräucherten Kneipe.
Im Hintergrund des Gastraumes im ersten Stock saßen vier Männer in Tabakrauch gehüllt und spielten Domino. Ihre Gesichter waren ernst. Sie spielten mit großer Konzentration. Ihre Bewegungen waren zügig und sicher. Man hörte wenig Geplänkel. Die Art und Weise, wie jeder Spieler seine Steine aufgebaut hatte – umgedreht und in zwei Reihen zu jeweils drei -, und die Stapel Münzen neben jedem Spieler zeigten deutlich, welche Art von Spiel hier gespielt wurde.
Einer der Männer schien im Vorteil zu sein. Er war untersetzt, hatte ein zerfurchtes Gesicht und kurzes, eisengraues Haar. Er saß mit dem Rücken zur Wand. Wenn er sich nicht auf seine Steine konzentrierte, beobachtete er den Raum. In seinem Blick war keine Furcht, lediglich Vorsicht. Rechts von sich hatte er ein Glas Brandy stehen. Ab und zu nahm er einen Schluck, ehe er seine Steine hinlegte. Trotz seiner Wachsamkeit machte er den Eindruck eines Mannes, der mit sich selbst ebenso im Reinen war wie mit dieser zweifelhaften Umgebung und seinen Mitspielern.
Ab und zu wanderte sein Blick zu einem Gast, der allein am Tisch neben der Treppe nach unten saß. Der Mann hatte ebenfalls den Rücken der getäfelten Wand zugekehrt. Er war jung, hatte ein energisches Gesicht und dunkle, intelligente Augen. Wenn er einen Schluck aus dem Glas nahm, führte er diese Bewegung so knapp und sparsam aus, dass man glaubte, er tat es nur, um Hand und Arm etwas zu bewegen und nicht, weil er den Inhalt seines Glases besonders genoss. Sowie ein Kunde aus dem Erdgeschoss heraufkam, stellte er sein Glas ab, wie um die Hände frei zu haben. Manchmal tauschte er einen Blick mit dem grauhaarigen Mann, aber meist hatte er die Augen auf die Treppe gerichtet. Der Name des jungen Mannes war Micah.
Eine neue Runde wurde gespielt. Die Steine wurden in schneller Folge hingelegt, nur unterbrochen von einem Klopfen, wenn ein Spieler nicht bedienen konnte. Obwohl um Geld gespielt wurde, war die Stimmung freundlich und entspannt.
Den letzten Spielstein in der Hand, vor sich eine Schlange von Dominosteinen, die sich wirr über den Tisch zog, sah der grauhaarige Mann abermals hoch und betrachtete die Gesichter der Kommenden und Gehenden, der Bekannten und Unbekannten, und überlegte, ob es sich um Freunde oder Feinde handelte.
Seine Augen wanderten zum Tisch an der Treppe. Er wurde sofort aufmerksam. Micah war nicht mehr allein. Neben ihm stand ein kleiner, krummbeiniger Mann mit Brille, schwarzer Hose und Jacke und einem ausgebleichten Dreispitz. Eine gepuderte Perücke, die schon bessere Tage gesehen hatte, lugte unter dem hochgeschlagenen Rand hervor. Der ältere Mann redete, Micah hörte zu. Schließlich nickte Micah, drehte sich um und sah zum Tisch der Dominospieler.
Der grauhaarige Mann legte seinen letzten Spielstein an und strich seinen Gewinn ein. Er schob den Stuhl zurück, stand auf und ließ die Handvoll Münzen in seine Tasche gleiten.
»Danke für das Spiel, Jungs. Ihr müsst jetzt ohne mich weitermachen – die Pflicht ruft.« Er ignorierte die Proteste der anderen Spieler, drehte sich um und ging zur Treppe.
Ezra Twigg sah ihm entgegen.
Als der grauhaarige Mann seinen Tisch erreicht hatte, stand Micah auf.
»Nun, Mr. Twigg …« Nathaniel Jago sah den kleinen Sekretär an und seufzte: »Wenn Sie hierherkommen, kann das nur einen Grund haben. Was hat der verrückte Hund denn jetzt wieder gemacht?«
Die vier Reiter hatten die Hügelkuppe erreicht und lenkten ihre Pferde auf den Waldrand zu. Das Mondlicht warf Schatten auf die Gesichter der Männer, die genauso gesprenkelt aussahen wie das Laub der Bäume, unter denen sie dahinritten. Ihre Aufmerksamkeit galt einem niedrigen Cottage, das, etwas von der Straße
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