Das Höllenschiff: Historischer Kriminalroman
auch«, sagte Isaac. »Er hat schon vorher so ausgesehen.«
Der Blick des Wirtes wanderte zu den Blutergüssen in Lasseurs Gesicht und er runzelte die Stirn. »Braucht einer von euch einen Arzt?«
Hawkwood schüttelte den Kopf. »Nur Verbandzeug.«
Der Wirt schien erleichtert. Er nickte kurz. »Ich will sehen, was ich machen kann.«
Es dauerte gar nicht lange, bis Essen und Verbandzeug gebracht wurden. Das Essen bestand aus zwei Schüsseln Hammeleintopf, einem Laib Brot und einem Krug Bier. Der Eintopf schmeckte wunderbar, es waren große Fleischstücke darin, und er war gut gewürzt. Selbst Lasseur war beeindruckt, obwohl Hawkwood wusste, dass sie nach dem Fraß auf dem Schiff wahrscheinlich auch gebackene Kröten exquisit gefunden hätten. Aber wenn ein Wirt auf Sheppey keinen ordentlichen Hammeleintopf kochen konnte, wer dann?
Isaac hatte auch einen Kessel mit heißem Wasser aus der Küche mitgebracht, dazu eine Schüssel und ein Handtuch. Hawkwood und Lasseur wuschen sich das restliche Blut vom Gesicht.
»Wie fühlst du dich?«, fragte Lasseur.
»Besser, als es mir zusteht«, sagte Hawkwood. Er spürte ein schwaches Pochen hinter den Augen und war froh, dass er in der relativen Dunkelheit des Kellers war statt draußen in der Sonne. Mit den Hüten von Isaac hatten sie zwar wie Dorfidioten ausgesehen, aber sie waren sehr praktisch gewesen.
Lasseur sah zu, wie Hawkwood seinen Verband abwickelte. Er zögerte etwas, ehe er sagte: »Im Laderaum, ehe du dem Mamelucken das Genick gebrochen hast … als du dich weggedreht hast, da wusstest du doch, dass er angreifen würde, oder?«
Hawkwood antwortete nicht gleich. Beim Schein der Laterne sah er seine Wunde an. Entgegen seiner Befürchtung hatte sich der Schnitt in seiner Seite nicht wieder geöffnet, Girards Naht war noch intakt. Er wickelte sich die frische Binde um den Bauch. »Ich hielt es für wahrscheinlich.«
Lasseur runzelte die Stirn. »Das klingt ja, als wolltest du ihn auffordern, anzugreifen.«
Hawkwood zuckte die Schultern. »Du denkst, wenn ich mit gebrochenem Arm auf den Knien gelegen hätte, hätte er nicht so schnell Schluss gemacht? Er hätte es sich nicht zweimal überlegt.«
»Willst du damit sagen, dass du ihm eine Chance geben wolltest?«
Hawkwood schüttelte den Kopf. »Die hatte er nie.«
Lasseurs Augen zogen sich zusammen, dann riss er sie auf und entsetzt stellte er fest: »Mein Gott, also war es deine volle Absicht! Du hast ihn in die Falle gelockt! Du hast ihn umgebracht, um Eindruck zu machen. Du hast mit ihm gespielt.«
Hawkwood sicherte das Ende seines Verbands, indem er es unter den Rand stopfte.
Lasseur sah unglücklich aus. Betrübt schüttelte er den Kopf. »Um dich ist etwas Dunkles, mein Freund. Ich sah es damals in deinen Augen, als du gekämpft hast. Und jetzt sehe ich es wieder. Es macht mich traurig, aber ich bin ja froh, dass wir wenigstens auf derselben Seite kämpfen.«
Hawkwood knöpfte sein Hemd zu. »Man nutzt beim Gegner die Chance, die man hat. Vielleicht bekommt man nur die eine. Und in neun von zehn Fällen ist das Ergebnis kein schöner Anblick.«
Lasseur neigte den Kopf zur Seite und sagte: »Vor vielen Jahren war ich mal mit einem Malaien auf einem Schiff, der mit einem anderen Mitglied der Mannschaft, einem Sizilianer, in Streit geraten war. Der Sizilianer hatte ein Messer, und dennoch entwaffnete ihn der Malaie mit bloßen Händen. Es war eines der merkwürdigsten Dinge, die ich je gesehen habe. Der Malaie bewegte sich, als ob er tanzte. Oder wie fließendes Wasser. Und etwas davon war auch in der Art und Weise, wie du dem Mamelucken den Arm gebrochen hast, nachdem du das Rasiermesser verloren hattest. Es schien, als hättest du gewusst, was du tun würdest, noch ehe dein Schlag ihn traf. Wo hast du diese Technik gelernt? Oder habe ich mir das nur eingebildet?«
Hawkwood spülte sich mit dem Rest des Wassers aus dem Kessel die Hände ab. »Ich kannte mal einen Soldaten. Er war viel im Osten gereist und verkaufte seine Dienste an jede Armee, die ihn bezahlte. Da gab es einen Nabob, für den er kämpfte, einen Prinzen aus dem Reich der Moguln, mit einem chinesischen Leibwächter. Der Soldat erzählte, der Chinese sei eine Art Priester gewesen. Es hatte angeblich mal einen Aufstand gegeben, bei dem die Priester sich weder mit Schwertern noch mit Messern bewaffnen durften. Also lernten sie, wie man sich Waffen aus Handwerkszeug herstellt, und sie lernten, mit Händen und Füßen zu kämpfen. Er sagte,
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