Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das höllische Ich

Das höllische Ich

Titel: Das höllische Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
oder zu zerstören, das sich in seiner unmittelbaren Nähe befand.
    Das trat nicht ein. Stattdessen bekam sein Blick einen ehrfürchtigen Ausdruck, und das Staunen ließ seinen Mund offen stehen.
    »Nun?«, fragte ich.
    Lou konnte zuerst nicht sprechen. Er schüttelte den Kopf, um ihn frei zu kriegen, bevor er sagte: »Ich kann nicht glauben, dass es so etwas gibt. Ich sehe es mit eigenen Augen, aber ich bin nicht fähig, es zu beschreiben. Es ist so anders und so wunderbar, dieses Kreuz, und wahnsinnig schön. Es strahlt etwas aus, was ich noch nie erlebt habe.« Er lächelte weich. »Es ist so edel und kostbar.«
    »Ja, das ist es«, bestätigte ich.
    Zugleich bemerkte ich, dass in Lou’s Innerem ein Kampf stattfand. Er traute sich noch nicht, etwas zu sagen, aber in seinen Augen las ich eine gewisse Bitte. Der Blick war einzig und allein auf das Kreuz gerichtet.
    Endlich schaffte er es, sich aus seiner Starre zu lösen und flüsterte: »Kann ich es haben?«
    »Anfassen?«
    »Auch. Ich würde es am liebsten in die Hand nehmen.«
    »Ja, ich habe nichts dagegen.«
    Plötzlich war er aufgeregt. Er schluckte und wischte sich über die Stirn.
    »Bitte, Lou, nehmen Sie es. Ich denke schon, dass es Ihnen gut tun wird.«
    »Ja, das kann sein.« Er streckte dem Kreuz seine Hand entgegen – und nahm sie wieder zurück, weil er sich wohl doch nicht traute. Aber als er mein Nicken sah, griff er endgültig zu.
    Als wäre seine Hand zu einer Kralle geworden, so fest ergriff er meinen Talisman.
    Nur allmählich verschwand der Unglaube aus seinen Augen. Er musste erst verarbeiten, was er hier eigentlich festhielt, und das war für ihn schon etwas Besonderes.
    Schließlich drückte er sich das Kreuz gegen die Brust wie ein kleines Kind sein Lieblingsspielzeug. Er atmete heftig, seine Augen füllten sich mit Tränen. Wir hörten ihn leise schluchzen. Die Lippen zitterten, und Purdy, die dicht an mich herangetreten war, konnte nur den Kopf schütteln.
    »Das habe ich noch nie erlebt«, sagte sie leise. »Er gerät von einem Extrem ins andere. Zuerst bringt er zwei Menschen um, und jetzt kann er nicht von deinem Kreuz lassen. Was ist das, John?«
    »Es ist das zweischneidige Schwert in ihm. Es hat eine dunkle und eine helle Seite.«
    »Da kann man nur hoffen, dass die dunkle Seite nicht die Oberhand gewinnt.«
    »Darauf wetten würde ich nicht.«
    Sie hatte begriffen. »Du gehst davon aus, dass wir hier beide Extreme erleben ?«
    »Ja, bestimmt. Im Moment sind wir bei der positiven. Er kann auch nicht anders. Der Besitz meines Kreuzes hält alles von ihm ab. Aber wehe, wenn das zweite Ich durchkommt.«
    »Das höllische«, flüsterte Purdy.
    »Genau das. Das höllische Ich. Er hat von seiner Gemeinde berichtet, in der er sich wohl fühlt. Das akzeptiere ich. Aber mich interessiert diese Gemeinde und deren Kirche. Es ist möglich, dass dort sehr zwiespältig gepredigt wird.«
    »Wie meinst du das?«
    »Tut mir Leid, das kann ich dir noch nicht sagen. Aber es hängt mit den Kräften der Hölle zusammen.«
    Purdy Prentiss sagte nichts darauf. Ihr Nicken aber zeigte mir an, dass sie einverstanden war.
    Lou Ganzaro konnte seine Blicke noch immer nicht von dem wertvollen Stück lösen. Er hielt es inzwischen nicht mehr gegen die Brust gepresst, sondern hatte es um eine Idee von ihr weggeschoben, sodass er es mit einer Hand streicheln konnte.
    Er tat es so sanft wie eine Mutter ihr Kind über den Kopf streichelt, bevor sie ihm den Gutenachtkuss gibt. Für uns Zuschauer war es in der Tat ein anrührendes Bild, das wir in dieser Form so nicht erwartet hatten.
    Doch es gab noch die andere Seite.
    Und die führte uns Lou Ganzaro nun vor Augen. Übergangslos stieß er beide Hände nach vorne. Das Kreuz hielt er weiter fest, aber es war nicht mehr der besondere Blick, mit dem er es anschaute. Der Ausdruck in seinen Augen zeigte eine Veränderung, und als ein unartikulierter Schrei aus seinem Mund drang, waren wir nicht mal überrascht.
    Der nächste Schrei bestand aus einem Wort, das wir sehr deutlich hörten. »Nein!«
    Das Kreuz war für ihn zu einem ekligen Gegenstand geworden, den er nicht mehr haben wollte. Er schlug seine rechte Hand von oben nach unten, und beim dritten Stoß öffnete er die Faust.
    Ich hatte nicht so schnell eingreifen können, wie er das Kreuz von sich schleuderte. Es überschlug sich und landete vor Suko’s Füßen, der es aufhob und mir reichte.
    »Ich denke, dass wir jetzt die andere Seite erleben werden, John«,

Weitere Kostenlose Bücher