Das höllische Ich
vorhin erhob wieder die Stimme. »Es gibt eine Entscheidung.«
»Gut«, sagte Ruben Crane. »Und wie ist sie ausgefallen?«
»Für uns, Rüben. Für dich! Nur durch dich sind wir in die Lage gekommen, den Weg zu den Schutzengeln zu finden. Du, der Zurückgekommene, hast uns den Weg weisen können, den nur wir erleben durften und keine anderen Menschen. Deshalb sind wir dankbar, und wir werden dir diese Dankbarkeit auch in den Stunden der Gefahr zeigen.«
»Das ehrt mich.«
»Dann führ uns bitte zu unseren Schutzengeln. Hol sie her. Zeig uns den Weg. Wir wollen, dass sie unsere Seelen übernehmen und uns läutern. Das allein ist unser Ziel, und davon lassen wir uns von den Kräften der Hölle nicht abbringen.«
Rüben nickte. »Ich freue mich über eure Entscheidung. Gebe allerdings zu bedenken, dass die andere Seite nicht schläft. Ihr wollt, dass euch die Engel übernehmen, aber die Mächte der Hölle wollen euch auch haben und euer normales Ich in ein höllisches umwandeln.«
»Wir werden dafür kämpfen!«
»Ja, dann lasst uns beginnen...«
Suko und ich sahen uns an. Beide wirkten wir nicht eben freudig gestimmt. Die Skepsis war unseren Gesichtern anzusehen, und ich spürte auch das leichte Kribbeln auf meiner Haut. Es fing im Nacken an und rann den Rücken hinab.
»Ich denke, dass wir uns mal näher an die Gruppe schleichen sollten«, flüsterte Suko.
Ich hatte keine Einwände. Wir bewegten uns langsam und ließen die Männer nicht aus den Augen. Sie taten nichts, sie waren in sich selbst versunken. Ich war wieder vorgegangen und blieb auch als Erster stehen. Ich hatte etwas gesehen.
Ein Schattenspiel.
»Sie sind da, Suko!«, zischte ich.
Er stoppte. Wir konnten von unserer Position aus recht weit in den Raum hineinschauen.
Sofort fiel uns auf, dass sich die Schatten einen neuen Platz ausgesucht hatten. Sie huschten jetzt an den Wänden entlang und über den Boden hinweg.
Die Männer bemerkten nichts. Sie waren in ihrer Meditation versunken. Sie warteten auf die Schutzengel, deren Kraft und Botschaft in sie hineindringen sollte, aber sie warteten vergebens. Es fiel ihnen auch nicht auf, dass Ruben Crane nicht mehr sprach.
Im Gegensatz zu den anderen Männern bekam er mit, was geschah, und er zeigte auch eine Reaktion. Er schrak zusammen. Er verlor seine Fassung, er fand den Überblick nicht mehr, aber er konnte seinen Vertrauten noch einen Satz sagen.
»Sie sind da!«, rief er.
»Die Engel?«
»Nein, die falschen...«
***
Und das traf hundertprozentig zu, denn auch wir hielten unsere Augen nicht geschlossen und sahen, dass sich etwas verändert hatte. Jedoch nicht zum Vorteil dieser Union.
Die Hölle war schneller gewesen. Die zahlreichen Schatten bewegten sich in einer Geschwindigkeit, die nicht zu messen und kaum mit den Augen zu verfolgen war.
Selbst Suko und mich hatten sie überrascht. Aus den zahlreichen Teilen waren feinstoffliche Gestalten geworden, und sie standen jeweils hinter den Stühlen, auf denen die Männer saßen. Sie waren die Wächter der Hölle. Sie besaßen keine normalen Körper, aber sie hatten sich in flache Gestalten mit menschlichen Umrissen verwandelt.
Die zehn Männer hatten die Worte zwar gehört, doch das Begreifen fiel ihnen schwer. Sie wollten wohl nicht wahrhaben, dass sie sich auf der Verliererstraße befanden. Doch sie brauchten nur die Köpfe zu heben, um Bescheid zu wissen.
Ihr eigenes höllisches Ich konnten sie nicht sehen. Da hätten sie sich schon auf der Stelle umdrehen müssen. Das taten sie nicht, sondern starrten jeweils die Personen an, die ihnen gegenübersaßen. Dort waren natürlich die Schattenwesen zu sehen, die hochaufgerichtet hinter ihnen standen und deren Anwesenheit ihnen den Atem raubte.
Die Dunklen hatten gewonnen. Die Hölle war wieder mal schneller gewesen. Und was mit den Männern passieren würde, das konnten wir uns leicht vorstellen. Lou Ganzaro war das beste Beispiel.
Ruben Crane stand noch immer in der Mitte. Er hatte seine Selbstsicherheit verloren, denn dass die andere Seite so schnell eingreifen würde, damit hatte er nicht gerechnet.
In seinem Gesichtsausdruck spiegelten sich seine Gefühle wider. Er kam sich vor wie ein Mensch, der in die Enge getrieben worden war, und schlug mit den Händen um sich.
»Nein, nein!«, brüllte er. »Ich will nicht! Ich gehöre nicht dir, Satan! Ich habe bereut. Ich bin geläutert. Ich habe meine Pflicht erfüllt. Ich will andere Menschen zu ihrem Schutzengel bringen. Das habe ich
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