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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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rassistischen Zügen der Ermittlungen in Beziehung setzt, und zieht daraus nicht nur rhetorische Konsequenzen, nein, sie votiert vielmehr dafür, die Ämter für Verfassungsschutz als Geheimdienste aufzulösen. Wenn die Kanzlerin vollständige Aufklärung versprochen habe und nun erfahren müsse, dass die Untersuchungen auch von Regierungsstellen blockiert worden seien, dann belaste dies gleichermaßen die Kanzlerin und die Opfer. Die Regierungskoalition versagt sich dazu den Schlussapplaus.
    Allmählich zeigt das feierlich gestimmte Kollektiv Erosionsprozesse, die Regierungsbank leert sich. Auch heute ist die Tribüne disziplinierter als das Parlament, das zuschauende Publikum mehr bei der Sache als das Plenum. Während am Pult über ein unerhörtes Staatsversagen, über Rassismus und Rechtsterrorismus gesprochen wird, geben schließlich mehrere Minister das Bild völligen Desinteresses ab. Der Bundespräsident aber sitzt mit gefalteten Händen aufmerksam da, blickt auf die leeren Plätze von Westerwelle, Rösler, Aigner, auf das Aktenstudium Schröders, die Konversationen Ramsauers, Pofallas und Neumanns. Sie alle sagen: Es gibt Wichtigeres, und wir auf der Tribüne können nicht anders, als zu fragen, was die Angehörigen der Ermordeten von diesen Bildern halten, zeigen sie doch vor allem die Halbwertzeit der Ergriffenheit an.
    Die Kanzlerin hat die Arme übereinandergeschlagen, abgekämpft, vom Wahlkampf aufgerieben. Doch bleibt sie sich der demonstrativen Bedeutung ihrer Anwesenheit bewusst. Serkan Tören ( FDP ) nennt dies gerade »eine Sternstunde des Parlaments« und beschließt seine Rede auf Türkisch. Merkel geht anschließend zu ihm und schüttelt ihm die Hand, auch das eine Geste, so still wie sprechend.

Dienstag, 3 . September, 9  Uhr  03
    Am Vorabend hat im Fernsehen das kleine Duell zwischen Gysi, Trittin und Brüderle stattgefunden. Es war schärfer, lebendiger, ironischer als das vermeintliche »Kanzlerduell« zuvor. Auf der Tagesordnung dieser letzten parlamentarischen Zusammenkunft vor der Bundestagswahl steht: »Vereinbarte Debatte zur Situation in Deutschland«, eigentlich also: Abschlussveranstaltung des parlamentarischen Wahlkampfs. Abgeordnete strömen in den Plenarsaal, viele zum letzten Mal. Manche fotografieren sich noch wechselseitig. Ein freundlicher Kleiderschrank posiert fünf Minuten vor Sitzungseröffnung am Pult, simuliert lächelnd den Debattenredner. Präsident Lammert teilt in seiner Eröffnung auch mit, dass die Abgeordnete der Linken, die vor der Sommerpause einen Schlaganfall im Parlament erlitten hat, immer noch auf der Intensivstation liege, mit dem heutigen Tag aber in ihre Heimat verlegt werden solle.
    Dann tritt Volker Beck ( B   90 / DIE GRÜNEN ) ans Mikrophon und beginnt: »Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe NSA !« Anschließend beantragt er eine sofortige außerordentliche Debatte zur Ausspähung durch den amerikanischen Geheimdienst, »den bisher größten Angriff auf die Rechte der Bürgerinnen und Bürger der BRD «. Als er von den Verdiensten des Whistleblowers Edward Snowden spricht, höhnt Volker Kauder ( CDU / CSU ): »Bundesverdienstkreuz für Snowden!« Der Hohn trifft die Zivilcourage.
    Beck weiß, dass das Parlament diese Debatte der interessierten Öffentlichkeit schuldig ist. Er weiß auch, dass die Mehrheit die Debatte ablehnen, sie für Wahlkampf erklären wird. Wieder – und das im prekären Fall der Gefährdung von Grundrechten – überlässt das Parlament die Volksvertretung den Talkshows. So bleibt parlamentarisch allenfalls festzuhalten: Die millionenfache Überwachung von E-Mails und Telefonaten wird von der deutschen Regierung nicht als Angriff gesehen, und während man in den USA den Fall für das eigene Land leidenschaftlich diskutiert, scheitert die aktuelle Auseinandersetzung dazu in Deutschland an der Geschäftsordnung des Bundestags.
    Wichtiger ist die Fortsetzung des Wahlkampfs mit anderen Mitteln, getarnt als Leistungsschau der Regierung, vorgestellt von einer in Wiederholungen aufgeriebenen Kanzlerin. Kommt Widerspruch, wiederholt sie das Kritisierte, kommt Applaus, dehnt sie die Pausen, damit er anhält. Dann allmählich entfaltet sie sich, der Radius der Gesten wird weiter, das Selbstlob richtet sie auf. In dichter Folge nennt sie sich selbst erfolgreich, klug, beständig, sozial, verlässlich, gerecht, noch mal klug, überzeugt, noch mal sozial, noch mal erfolgreich. Abschließend malt sie noch das

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