Das Hohe Haus
guten und gesunden Sommer, besonders unserer Kollegin«, »dass sie schnell wieder gesund wird«. Einzelne Abgeordnete bleiben in Grüppchen stehen, verlassen den Saal nicht. Man denke über das Leben nach in einer solchen Situation, sagt einer später im Aufzug, auch über den Umgang miteinander. Das Sonnenlicht war zuletzt im Saal ganz hell, lag aber in Flecken auf dem Adler.
Montag, 2 . September, 16 Uhr 30
Merkel reist in den Osten, man sieht, wie Menschen ihr die Hand küssen. Steinbrück kämpft mit schlechter Presse und niedrigen Umfragewerten. Die mediale Welt sagt vor allem: Es bleibt spannend. Das muss es, Zeitungen und Wahlsendungen wollen verkauft werden. Am Vorabend lief im Fernsehen das Wahlduell. Angela Merkels Kette in den Nationalfarben, Stefan Raabs Formulierung vom »King of Kotelett« bestimmen die Presse.
Die letzten beiden Parlamentstage vor der Bundestagswahl sind außerordentliche. Sie dienen dem Kehraus, abschließenden Berichten, ausstehenden Beschlussempfehlungen und auch hier noch dem Wahlkampf. Es regnet. Die Temperaturen sinken erstmals wieder.
Auf den Besuchertribünen haben sich heute keine Schulklassen eingefunden. Vielmehr wimmelt es von schwarzen Anzügen. Das Aufgebot an Fernsehkameras ist hoch, auch ausländische Teams sind gekommen. Steinbrück begrüßt Künast mit raumgreifendem Charme. Merkel sitzt blass in der petrolfarbenen Jacke, nur Rösler und Westerwelle neben sich. Der Bundespräsident trifft auf der Tribüne ein. Er nimmt unter Vertretern der türkischen Familien Platz, die bei den Anschlägen der NSU Angehörige verloren haben. Die Abgeordneten applaudieren ihnen, viele drehen sich dabei zur Tribüne um.
Es ist dies Gaucks Art, das Schuldeingeständnis des Staates mitzutragen, eine symbolische Geste, aber eine gewichtige zum Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses. Der Bundestagspräsident eröffnet selbstkritisch angesichts der früheren haltlosen Beschuldigungen der Angehörigen. Der Saal klatscht unisono. Lammert spricht gut, die Ministerriege ist fast komplett. Kritik übt er auch daran, dass diese Sitzung dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen keine Übertragung wert ist. Der Applaus ist breiter, die Kanzlerin quittiert es mit Lächeln. Er hat recht, übertrug das öffentlich-rechtliche Fernsehen doch jüngst noch über Stunden die Taufe einer schwedischen Prinzessin, und haben sich nicht auch Fernsehsender in der Berichterstattung über die »Döner-Morde« mitschuldig gemacht?
Was Sebastian Edathy ( SPD ) dann aus dem Innenleben des Ausschusses berichtet, ist parlamentarisch beispiellos: Einigkeit in der Empörung über die Ergebnisse und die bis in die Untersuchungen andauernden Lügen der befragten Ermittler; Einigkeit in jeder Abstimmung; Einigkeit bei der Durchsetzung der Positionen; Einigkeit bei einer überparteilichen Arbeit ohne Zwist. Dabei erlaubt sich der Redner keinerlei Beschönigung, berichtet fassungslos von »derart massivem Behördenversagen« und lässt keinen Raum mehr für eine parteibezogene Ausbeutung des Falles.
Die Aufmerksamkeit ist hoch. Edathy referiert, dass bei neun von zehn Morden, »nicht ergebnisoffen«, sondern mit »Ressentiment« ermittelt wurde. Das Schuldeingeständnis ist ehrlich und umfassend, der Applaus dafür stark und anhaltend. Nur Kulturstaatsminister Neumann trifft mit zwanzig Minuten Verspätung ein und beginnt gleich, sich nach beiden Seiten zu unterhalten. Von den Tribünen aus, auf denen neben den Angehörigen der türkische und der griechische Botschafter sitzen, ergibt sich das Bild eines feierlichen Plenums, in dem ein Einziger den Geist der Stunde nicht erfasst hat. Dieser ist der Kulturvertreter.
Die Reden sind indessen parteiübergreifend gut und beweisen, was das Parlament leisten könnte, würde es sachlicher und weniger strategisch arbeiten. Trotz des Wahlkampfes sind fast alle Leitfiguren der Parteien zugegen. Sie erfahren, dass 47 Empfehlungen im Konsens der Fraktionen vom Ausschuss beschlossen wurden.
Dann berichtet Petra Pau ( DIE LINKE ) von ihren Besuchen an den Tatorten, von den Gesprächen mit den Angehörigen der Opfer. Einer von diesen, der seit vierzig Jahren in Deutschland lebt, hatte eingeräumt, gewiss, die Polizei könne Fehler machen, aber: »Sie haben vergessen, dass wir Menschen sind, und das kann ich nicht verwinden.« Paus Rede ist bewegt und bewegend, frei von Phrasen und Paraphrasen. Sie ist vor allem ungeschönt, wo sie den Rassismus der Attentate mit den
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