Das Hohe Haus
Schreckgespenst des Wandels an die Wand, verspricht, genauso weiterzumachen wie bisher, und nickt dann so freundlich, als habe ihr jemand die Tür aufgehalten. Zum ausdauernden Beifall der Regierungsparteien verzeichnet das Protokoll drei Zwischenrufe: Volker Kauder ( CDU / CSU ): »Zugabe!« – Michael Grosse-Brömer ( CDU / CSU ): »Ja! Bitte noch eine halbe Stunde!« – Frank-Walter Steinmeier ( SPD ): »Gute Nacht, meine Damen und Herren!« Rösler und Westerwelle gratulieren. Sie lächelt dauerhaft, weiß die Kameras auf sich, hält durch, die ganze endlose Applauspause lang. Zuletzt lächelt sie immer mädchenhafter, dann glücklich. Draußen regnet es in Strömen.
Für den Herausforderer Peer Steinbrück ( SPD ) werden 25 Minuten Redezeit angezeigt. Bei Merkel ist sein Name kein einziges Mal gefallen. Er dagegen arbeitet sich wieder blindwütig an dem ihren ab und macht sie dabei immer größer. Sie lächelt, so schwach ist seine Eröffnung, leitet er doch wirklich aus ihrer Verwendung der Wörter »wir werden« ab, dass sie vier Jahre lang nichts getan habe. Das ist nicht allein sprachlogisch falsch, sondern auch sachlich unzutreffend, also unglaubwürdig.
Wieder werden Zahlen in Stellung gebracht, wird das Wahlprogramm abgearbeitet. Das meiste kennen auch die auf der Tribüne längst aus dem Fernsehen. Es muss speziell den Parlamentariern nicht noch einmal gesagt werden, denn da ist niemand, der sich von diesen Informationen umstimmen ließe. Mit einem Wort, es ist, abgesehen von den wenigen Sekunden in den Nachrichtensendungen, den Kommentaren der Zeitungen und Online-Magazine, bedeutungslos, was hier gesprochen wird. Aber viele sind angereist, haben diesen Tag auf ihre Agenda gesetzt, um Abgeordnetendarsteller zu sein. Zum Abschluss konkurriert man nur noch um Applauslängen.
Rainer Brüderle ( FDP ) wechselt ins Fach der Büttenrede. Viel geschlafen haben kann er nicht, war er doch schon im gestrigen TV -Duell an den Grenzen seiner Kraft. Voller Wut versucht er es mit Moral. Seine Stimme produziert in der Empörung ein Röcheln, aber zwischendurch ist diese Empörung so lustig, dass man selbst auf der Regierungsbank lacht. Ich werde nicht schlau aus ihm. Als Autorität geht er nicht durch, dazu ist er zu karnevalistisch; ein Analytiker ist er nicht, dazu sagt er zu gerne Dinge wie »den Hintern hochkriegen, konkret was machen«; ein überzeugender Demagoge ist er nicht, dazu ist seine Unterstellung, dass die Opposition grundsätzlich nichts versteht, zu schlicht; brillant ist er nicht, dazu kennt man zu viele seiner Versatzstücke, die »Eiskarte beim Italiener«, die »Alte mit der Leselampe«, und wenn er »Anstand« postuliert, denkt jede und jeder an die Debatte, die seinen Namen trägt.
Zu allem Überfluss beginnt dann noch Gregor Gysi ( DIE LINKE ), indem er Brüderles Selbstbeschädigung vollendet: »Herr Brüderle, Sie haben etwas sehr Bemerkenswertes gesagt. Sie haben gesagt, dass Sie seit vier Jahren den Mist aufräumen müssen, der bis dahin entstanden war. Damit sagen Sie natürlich der Kanzlerin – sie ist ja schon seit acht Jahren Kanzlerin –, dass sie vier Jahre lang nur Mist gemacht hat. Darauf will ich nur hinweisen; das müssen Sie miteinander klären.« Im Ernst weist er dann darauf hin, dass alle Kriegseinsätze und Waffenexporte mit dem Konsens des gesamten Hauses bis auf die Linke entschieden worden sind und alle Banken-Pakete ebenso. Dann geht er Punkt für Punkt ein Gegenkonzept durch, lässt keine Applauspausen, dazu hat er zu viel Material. Volker Kauders Zwischenruf »Quatschkopf!« wird nicht gerügt. Auch hier waltet offenbar doppeltes Maß.
Inzwischen verwahrt sich Gysi gegen die Anhebung des Renteneintrittsalters um zwei Jahre mit den Worten: »Wissen Sie, man kann ja mit neunzig noch im Bundestag herumdödeln, ohne dass es einer merkt, aber ein Dach kann man nicht mehr decken – das ist der Unterschied.« Er verwahrt sich gegen die »altersrassistische Gesellschaft« und ruft: »Bewerben Sie sich doch mal irgendwo mit über fünfzig!«, und Steinbrück ( SPD ) ruft rein: »Tue ich doch!« Gewiss, aber auch diese Bewerbung scheint gerade wenig erfolgversprechend. Zuletzt wendet sich Gysi frontal Gabriel und der linken SPD zu und zielt auf ihr sozialdemokratisches Herz, als er sagt: »Wir wollen nicht, dass Sie links von der SPD stehen; da stehen wir doch, das ist gar nicht nötig. Aber wenigstens sozialdemokratisch könnten Sie endlich werden. Zur
Weitere Kostenlose Bücher