Das Hohe Haus
Beherrschung des Repertoires staatsmännischer Satzbausteine, leerer, freidemokratisch anmutender Floskeln, die auf der Tribüne mit Kopfschütteln quittiert werden: »Das Verhältnis zu unseren Nachbarn im Osten und im Süden ist von zentraler Bedeutung für ein starkes Europa« oder »Die EU beruht auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten. Diese Werte sind nicht verhandelbar.« Dieser neue Parteichef spricht wie jemand, in dessen Reich die Sonne nie untergeht, ist aber der Juniorpartner einer Splitter-Opposition. Jeden seiner Sätze muss er ablesen und dabei auch solche, die Vertreter von vier Parteien wortidentisch hätten sagen können.
Schließlich folgt das Unsinnigste, was ein Redner in seiner Lage wohl machen kann: Er opponiert erst einmal gegen die Linke, seinen Oppositionspartner. Als müsse er den Großen noch gefallen, schimpft er, Bartsch habe sich nicht an die Tagesordnung gehalten und »Klamauk« geboten. Es geht um die Abhörung des ganzen Volkes, um Menschenrechtsfragen in der Ukraine und in Russland, und was hat der Führer der kleinsten Fraktion im Parlament zu monieren? Dass sich sein Oppositionspartner nicht an die Tagesordnung gehalten habe! Es hat nicht mal Stunden gedauert, und man ahnt, was für eine Opposition hier heraufdämmert, und wohlgemerkt: Es haben sich ja in der vergangenen Legislaturperiode nicht allein die Großen Koalitionäre bekämpft, vielmehr taten sich auch die Grünen als heftige Angreifer der Linken hervor.
Dann eilt Volker Kauder mit Feldwebelschritt ans Pult und nimmt gleich den Ball auf, den Hofreiter ihm zugespielt hat: »Für die führende Oppositionsfraktion (…) müssen Sie noch ein bisschen üben«, heißt es herablassend zu Bartsch. Anschließend pflichtet er der SPD in einer Bagatelle bei und erlebt ein gespenstisches Stillhalten im Plenum, das Ausbleiben aller Zwischenrufe. Angela Merkel hat nur einen Post-it-Zettel vor sich und beschriftet diesen. Unterdessen wendet sich ihr Kauder ganz zu und gibt Empfehlungen ab für ihre Gespräche mit Putin, öffentlich, welche Farce! Schließlich definiert er Europa als eine »Wertegemeinschaft«. Diese »Werte« trennen uns von den Türken, sie verbinden uns aber offenbar mit den US -Amerikanern, denen die Leviten gelesen werden mit den Worten: »Was da von Amerika ausgehend passiert ist, ist nicht schön.« So stellt man sich die Verteidigung unserer »Werte« vor, für die die Regierung gerade neuerlich gewählt wurde.
Was folgt, repräsentiert auf engem Raum den ganzen Reichtum des rhetorischen Verhaltens im Parlament: Marieluise Beck (B 90 / DIE GRÜNEN ) entwickelt aus der Mitte historischer Bildung heraus eine Position, die die Souveränität der Staaten im Osten unterstreicht und sich der Kritik gegenüber Russland nicht enthält. Die Besonnenheit der Rede bindet sogar die Aufmerksamkeit der Kanzlerin.
Die anschließende Jungfernrede der neu ins Parlament gewählten Katarina Barley ( SPD ) ist alles, nur nicht neu, und das weder in der Ausbreitung der Fakten noch in ihrer emotionalen Aufbereitung. Die Debütantin versucht vor allem, nicht aufzufallen. Also reproduziert sie erst einen Habitus. Der sitzt bereits: »Hier kann eine Politik der kleinen Schritte oftmals auf anderer Ebene mehr erreichen.« Oder aphoristisch: »Wandel entsteht durch Annäherung auf breiter Basis.« Oder: »Ich komme aus einem der schönsten Wahlkreise der Republik.« Ja, dieses Ich muss sich im Parlament nicht finden, es ist schon da und wird eingesetzt als ein Massiv der Autorität. War die Aufmerksamkeit anfänglich noch gut, so versickert sie, sobald deutlich wird, dass nur das Erwartete zu erwarten ist. Es gibt gewiss Abgeordnete, die ins Parlament kommen, um alles anders zu machen. Aber es gibt auch jene, die zunächst einmal alles wie die Großen machen wollen. Mit ihnen ist eine Selbsterneuerung des Parlaments schlecht vorstellbar. An ihren Platz zurückgekehrt, fällt die Rednerin in die Umarmung von Andrea Nahles, und Norbert Lammert lobt ihre Zeit-Unterschreitung.
All das findet bei gedrückter Pausen-Taste statt. Man ist nicht beschluss-, nicht handlungsfähig, und nur vereinzelt erhebt sich ein Redner zu Überlebensgröße, so wenn Philipp Mißfelder ( CDU / CSU ) sich zur Drohkulisse vor ganz Weißrussland aufbaut: »Vor diesem Hintergrund appelliere ich daran, dass Lukaschenko in sich geht und überlegt, ob das der richtige Weg ist.« Mißfelder ist ein junger Mann. Seine politische Diktion aber stammt
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