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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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durch die jeweilige Mehrheit unterliegen.«
    Das Parlament also ist der Ort, an dem gleichermaßen die Entscheidungen fallen und an dem die Legitimität der Entscheidungen gewährleistet wird. Aber repräsentieren die Themen des Parlaments notwendig die der Gesellschaft, oder trägt nicht schon die Vormacht der Parteipolitik und ihrer Interessen zur Entpolitisierung einer Gesellschaft bei, die sich von den Themen, den Mehrheitsverhältnissen, dem Stil des Hohen Hauses nicht vertreten fühlt? Die »Bedeutung und Leistung des Bundestages«, so Lammert, seien »gewiss höher als sein öffentliches Ansehen«. Dann nennt er vier Punkte möglicher grundsätzlicher Veränderungen. Die Kanzlerin und ihre Getreuen klatschen nicht zu jeder.
    Dass in der vergangenen Legislaturperiode mit fast 15   000 Drucksachen ein »durchaus zweifelhafter Rekord von Initiativen aller Art aufgestellt worden« sei, dass neunhundert Gesetzesvorhaben, von denen am Ende  553 verabschiedet wurden, »auch möglicherweise eher ein paar zu viel als zu wenig« seien, dass »weder die Regierungsbefragung noch die Fragestunde in ihrer bisherigen Struktur das Glanzstück des deutschen Parlamentarismus darstellen«, konstatiert so unverblümt niemand sonst, wird aber von der Mehrheit bestätigt. Doch auch das Volk muss sich sagen lassen, dass man nicht ein »möglichst geschlossenes Auftreten parlamentarischer Gruppierungen« und zugleich restlose »Unabhängigkeit der Abgeordneten mit ihrem verfassungsrechtlich garantierten freien Mandat« erwarten könne. Das begegnet einem selten: So automatisiert die Kritik des Volkes an »den Politikern«, so rar die legitime Kritik am Volk durch den Politiker.
    Anschließend nimmt die Linke den Widerstand gegen die Erweiterung des Präsidiums auf sechs Vizepräsidenten exakt so tapfer auf, wie die Regierung ihn brüsk abbügelt. Die neuen Zeiten sind angebrochen. Als zum Abschluss der konstituierenden Sitzung des achtzehnten Deutschen Bundestags die Nationalhymne gesungen wird, leeren sich die Reihen. Der Bundestagspräsident lädt zu einem Empfang, und die Minister können sich ihre Entlassungsurkunden abholen. Das letzte Bild aus dem Plenarsaal gehört Edelgard Bulmahn und Ulla Schmidt, die seit über zwanzig Jahren SPD -Abgeordnete, auch beide Ministerinnen gewesen sind und eben zu stellvertretenden Parlamentspräsidentinnen gewählt wurden. Sie haben noch ihre Blumen in den Händen. Zeit, ein Foto machen zu lassen, das sie ganz allein im Hohen Hause zeigt, vor ihrem neuen Amtssitz unter dem Adler.

Montag, 18 . November, 13  Uhr  30
    Der Taifun Haiyan hat auf den Philippinen eine humanitäre Katastrophe verursacht. Der Prozess gegen Christian Wulff beginnt, im NSU -Verfahren wird Beate Zschäpe durch ein linguistisches Gutachten belastet. Bei einem zurückgezogen lebenden Privatier in München tauchen etwa 1400 verschollen geglaubte Bilder der klassischen Moderne auf.
    Zugleich ringt man in Berlin um die Große Koalition. Zwar gibt es außerordentliche Sitzungen, die Handlungsfähigkeit des Parlaments allerdings ist nicht gegeben, da die über zwanzig Ausschüsse nicht besetzt sind. Erst am 17 . Dezember soll die Kanzlerin wiedergewählt, erst im Januar dann die reguläre Arbeit des Parlaments aufgenommen werden. Käme es so, es wäre eine der längsten Perioden parlamentarischer Untätigkeit in der deutschen Geschichte, und auch wenn es dem schwierigen Einigungsprozess geschuldet sein mag: In diesem Augenblick befindet sich der Bundestag in der Geiselhaft der Koalitionäre. Vom Tempo ihrer Einigung hängt die Funktionstüchtigkeit des Parlaments ab, und da die SPD zuletzt einen Mitgliederentscheid durchführen und ihre Regierungsbeteiligung von diesem abhängig machen will, scheint alles provisorisch.
    Bis zum vergangenen Freitag meldete keine offizielle Stelle des Bundestags, ob und wann die verlangte außerordentliche parlamentarische Sitzung zur NSA -Affäre stattfindet. Wollte man sie unzugänglich machen, man müsste nicht anders vorgehen. »Dann rufen Sie doch bei Ihrer Partei an!«, sagt die Sachbearbeiterin aus dem Pressebüro des Bundestags. Aber ich bin ohne Partei, und wenn man bedenkt, dass heute der Kanzlerin allein 167   000 Unterschriften für die Aufnahme von Edward Snowden in Deutschland übergeben werden, ist die Anteilnahme an der Auseinandersetzung vielleicht doch größer, als es die Öffentlichkeitsarbeit des Parlaments vermuten lässt. Wieder offenbart sich eine Diskrepanz zwischen

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