Das Hohe Haus
Stelle der »Strafverfolgung« steht eine Sequenz zu klärender Fragen, auf deren Beantwortung am Ende niemand bestehen wird.
Der Rest ist Philosophie: »Welche moralischen, rechtlichen und politischen Leitplanken brauchen wir eigentlich«, so Steinmeier, »um in diesem 21 . Jahrhundert mit veränderten Kommunikationsbedingungen, neuen Risiken und dem Machthunger, etwa von Diensten, umzugehen? Was ist die Aufgabe von Politik und dieses Deutschen Bundestages?« Noch vor Wochen schienen diese Aufgaben auch in seinen Reden so klar. Doch gibt es »die Politik« so wenig wie »den Bundestag«. Es gibt stattdessen die Konstellation des Augenblicks, das Opportunitätsprinzip, Realpolitik als Antwort auf Visionen, und wenn man keine Antworten hat, legt man alle Entschiedenheit in die Fragen, sicher, dass sie offenbleiben.
Oder glaubt man wirklich, mit einer so altmodischen Sache wie »Leitplanken« sei ein »Völkerrecht im Netz« durchsetzbar? Glaubt man in einer Situation, in der sich selbst Untersuchungsausschüsse erübrigen, weil man sich nicht einmal in den Besitz der Fakten bringen kann, habe man überhaupt die Mittel in der Hand, das »aus den Fugen geratene« Verhältnis von »Freiheit und Sicherheit« zu reparieren? Welche Verblendung, die Grundwerte dieser deutsch-amerikanischen »Wertegemeinschaft« zwar verletzt zu sehen, aber nichts anbieten zu können als die Bitte um »feste Vereinbarungen« und an diese zu glauben, ehe wir uns alle gemeinsam in den Himmel der Plattitüden verabschieden: »Wir leben auf keiner Insel, sondern das Netz ist worldwide. Ich bin sicher, wir alle miteinander werden die Zeit nicht zurückstellen können.« Da sind wir alle sicher, schon weil diese Debatte mit so fadenscheiniger, wetterwendischer Empörung einerseits, mit so antiquarischen Mitteln andererseits und schließlich nicht einmal auf der Höhe der technischen Standards geführt wird.
Oppositionsführer Gregor Gysi ( DIE LINKE ) beginnt leise und orientiert sich zunächst vor allem an den Fakten, die der Debatte bislang fehlen. Eigentlich werde ja die Kanzlerin der Drogenkriminalität oder der Mitwirkung in einer terroristischen Vereinigung verdächtigt. Eigentlich müsse geklärt werden, wer erlaubt habe, dass die NSA gerade ein Geheimdienstzentrum in Wiesbaden aufbaue. Eigentlich müssten sich Pofalla und Friedrich öffentlich entschuldigen für all die Desinformation, die Abwiegelungen der letzten Monate, die Behauptung, es sei nun alles aufgeklärt, und eigentlich verdiene Edward Snowden, dem alle relevanten Informationen zu verdanken seien, Dank, Ehrung und Asyl. Zu alledem aber klatschen nicht einmal die Grünen, ja, zur Snowden-Passage klatscht nicht einmal Ströbele. Der Gedanke des Burgfriedens ist bei den Regierungs-, nicht bei den Oppositionsparteien angekommen, und die Kanzlerin hört gerade ohnehin nicht zu, sondern korrigiert ein Papier.
Hans-Christian Ströbele ( B 90 / DIE GRÜNEN ) humpelt dann zum Pult, muss mehrfach ansetzen, richtet sich dann direkt an Merkel, die ihn nicht ansieht, mit überkreuzten Armen dasitzt, ohne Reaktion. Das Haus ist immer noch fast voll. Sämtliche Fragen, die die Opposition formuliert, sind richtig. Sie zielen auf eine Regierungsblamage, die nur von Gysi und Ströbele auf den Begriff gebracht wird. Dieser gewinnt gerade an Kraft. Seine Empörung erreicht jetzt selbst die Regierungsbank, wo plötzlich alle zuhören.
»Die Fragen, die Sie im Juni verschickt haben«, moniert Ströbele, »sind bis heute nicht beantwortet worden. Eine einzige Frage, nämlich die, was man sich unter Prism vorzustellen hat, ist beantwortet worden, sonst nichts. Was machen Sie denn da? Sagen Sie Ihren Kollegen: ›Das nehme ich nicht länger hin! So könnt ihr mit mir nicht umgehen! So geht man mit Freunden nicht um!‹? Nein, Sie machen überhaupt nichts. Sie sind in einem Maße devot, wie es eines deutschen Bundesinnenministers nicht würdig ist. Wir haben aufzuklären, nicht nur im Interesse der Kanzlerin, nicht nur im Interesse der deutschen Wirtschaft, sondern vor allem im Interesse der achtzig Millionen Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande. Es geht um deren Grundrecht. Es geht um deren Freiheit der Kommunikation über Handy, über E-Mail, über Telefon. Darum geht es. Um das aufzuklären, brauchen wir eine parlamentarische Instanz; denn Sie, die Bundesregierung, haben in diesem Bereich völlig versagt.«
Merkel schmollt, sieht plötzlich aus, als habe sie geweint, und weiß doch,
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