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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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aus Zeiten, als man Kinder noch zur Strafe in die Ecke stellte, damit sie in sich gingen und sich schämten. Bei Lukaschenko könnte dies ein weiter Weg sein.
    Angela Merkel wieselt unterdessen in alle Richtungen, kehrt nicht mal zum Sitzen, nur zum Ablegen von Blättern an ihren Platz zurück. Sie wirkt, als müsse sie die Stützen ihrer Fraktion im Vorbeifliegen bestäuben. Zum Auftakt der »Debatte zu den Abhöraktivitäten der NSA « hält Innenminister Hans-Peter Friedrich jene Rede weitgehend noch mal, die er zu Edward Snowdens ersten Enthüllungen gehalten hatte. Friedrich findet auch heute alles vor allem »irritierend« und »beunruhigend«. Irritiert wirkt er, beunruhigt nicht. Wieder redet er nicht zum Thema, sondern lieber zur deutschen Datenerhebung in Afghanistan, zum Schutz deutscher Soldaten, zur »Wertegemeinschaft« mit den Amerikanern, einer Gemeinschaft, die durch Abhörung offenbar nicht erschüttert wird.
    Auch hier beruft er sich immer wieder auf »Gesetze«, würde am liebsten die Rechtmäßigkeit der amerikanischen Übergriffe noch nachträglich beweisen und regiert auf heftige Zwischenrufe, indem er »Verschwörungstheorien« nennt, was längst erwiesen ist. Auch spricht er von den »angeblichen Dokumenten des US -amerikanischen Staatsbürgers Snowden« sowie vom »angeblichen Abhören des Handys der Frau Bundeskanzlerin«. Die sitzt währenddessen tief gebeugt über Akten, geht raus, kehrt wieder, und das fahrig wie eine, die sich im Bett hin und her wälzt und keine passende Schlafposition finden kann. Friedrich redet weiter, kann von einer »Vielzahl von Delegationsreisen« berichten, von »hochrangigen Gesprächen«, die allerdings offenbar ohne Ergebnis blieben. Aber eine Waffe im Kampf der Wertegemeinschaft, der Freunde und Partner, hat er am Ende doch: »Wir brauchen mehr und bessere Verschlüsselungen.«
    In der Sache bleibt er ahnungslos, weiß nichts und sagt noch weniger, nennt das Abhören von Merkels Handy aber mutig »strafbar«. Aber müsste ein Innenminister nicht wissen, dass die Legislative immer nur so stark ist wie die Exekutive, die ihr zur Durchsetzung verhilft? Es gibt diese Exekutive den USA gegenüber nicht. Was soll also die Bemerkung, dem werde »nachgegangen«? Was leistet der drohende Verweis auf die »Generalbundesanwaltschaft«, die was tun soll? Ermitteln, Strafbefehle zustellen, Prozesse anstreben, Beschuldigte vor Gericht stellen, Zeugen vernehmen, Mittäter dingfest machen, verurteilen? Hatte derselbe Minister nicht erst jüngst gewettert, man wolle doch wohl nicht »einer der ältesten Demokratien« vorschreiben, wie sie ihre Geheimdienste zu kontrollieren habe?
    Merkel lässt diese Rede auch mimisch unkommentiert. Selbst als Friedrich sich hinter ihr auf die Regierungsbank zwängt, hat sie weder Blick noch Wort noch Geste für ihn. Wenn man aber bedenkt, dass eine Überwachung kaum drastischer ausfallen kann als diese und dass wir eben die Reaktion des verantwortlichen Ministers gehört haben, kann man altmodisch sagen: Mit diesem Mann ist kein Staat zu machen. Und die Bundeskanzlerin, um deren Handy es geht, ergreift bloß immer wieder ihr Handy, nicht das Wort.
    Auch Frank-Walter Steinmeier ( SPD ), in der Sache entschiedener, Friedrich gegenüber aber erst zahm, dann wortlos, beruft sich auf »gemeinsame Werte«, auch er findet, »dass sich Spionage unter Freunden nicht gehört«: auch so eine bagatellisierende Formulierung. Man spricht nicht mit vollem Mund, man lacht nicht auf einer Trauerfeier. Die Tonlage macht aus der Abhörung einen bloßen Fauxpas. Wie hatte die Empörung in dieser Sache noch vor Monaten geklungen! Wie überzeugt, wie erschüttert! Inzwischen sind neue Wichtigkeiten eingetroffen – und das sollen wir nicht merken? Dazu braucht man nicht abzuhören, zuhören reicht.
    So enthält diese Rede natürlich keinen einzigen echten Angriff auf die alte Regierung. Doch gibt es Menschen, die im Ohr haben, wie Steinmeier der Kanzlerin noch unlängst vorgeworfen hat, sie verletze ihren Amtseid durch Tatenlosigkeit. Es braucht eine einzige Debatte, und man erkennt: Es geht in dieser kommenden Großen Koalition nicht allein um die Frage, wie viel Sozialdemokratie im Programm steckt, sondern darum, wie viel Glaubwürdigkeit man sich wechselseitig erspart. Die Zonen der Verödung dehnen sich weiter aus. Die Empörungsherde werden erstickt. Man macht sich keine Probleme mehr. Aufklärung war versprochen worden, Aufklärung bleibt aus. An der

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