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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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dem politischen Interesse des Volkes und der Bereitschaft des Bundestags, diesem zu genügen.
    13  Uhr  22 . Die Kameras klackern so laut, dass man weiß, etwas Außerordentliches muss sich ereignen, und tatsächlich: Claudia Roth in Schwarz begrüßt Angela Merkel in Grün, legt ihr die Hand auf die Schulter, man ist leutselig. Wie aus der Zeit gefallen, sitzt auch Philipp Rösler noch einmal an Merkels Seite. Ja, es sind lauter Wiedergänger im Raum, die schon abgewählt oder zurückgetreten und doch verpflichtet sind, bis zur Arbeitsfähigkeit der neuen Regierung den alten Dienst zu tun.
    Norbert Lammert spricht vom Taifun. Es wird leise. Die Botschafterin der Philippinen sitzt auf der Ehrentribüne. Der Saal wendet sich zu ihr um, klatscht, sie erhebt und verbeugt sich mehrfach mit an die Hosennaht gelegten Händen. Gelbgrau schimmert der Himmel, er scheint zu zögern vor dem Schneien. Das Plenum ist fast vollzählig besetzt. Die Botschafterin, eine zierliche Frau, verbeugt sich erneut, legt die Hände vor der Brust zusammen, verbeugt sich wieder und wieder.
    Auch Angela Merkel adressiert sich zuerst an sie, schwenkt aber dann zügig zum »Gipfel der Östlichen Partnerschaft in Vilnius« weiter, und da ist es wieder: »unser gemeinsames strategisches Interesse«, das dem nicht-gemeinsamen strategischen Interesse Russlands offenbar widerspricht. Trotzdem lauern an den europäischen Grenzen zur Ukraine schon Wortungeheuer wie die »Implementierung der Assoziierungsagenda«, »die substanziellen bilateralen Kredite der EU als Makrofinanzhilfe« und die »gelebte Solidarität« durch »zusätzliche Absatzmöglichkeiten für Produkte unserer Partner«. Jetzt weiß die Ukraine beides: was ihr winkt und was ihr blüht.
    Eigentlich aber warten alle auf eine ganz andere Erklärung der Bundeskanzlerin und atmen schon auf, als sie sagt, sie wolle »aus aktuellem Anlass auch wenige Sätze zu Amerika sagen«. Das Versprechen hält sie. Es werden wenige, und es werden keine Sätze aus der Familie derer sein, die gesagt werden mussten: »Die Vorwürfe sind gravierend; sie müssen aufgeklärt werden. Und wichtiger noch: Für die Zukunft muss neues Vertrauen aufgebaut werden.« Es braucht keinen Scharfsinn, um zu prognostizieren: Die Vorwürfe werden nicht aufgeklärt, und zwar schon deshalb nicht, weil solche Sätze unverbindlich sind. Und dass man Vertrauen Geheimdiensten gegenüber aufbauen könne, hat schlicht etwas von Volksverdummung. Wie sollte das denn im besten Falle aussehen?
    Was die Kanzlerin anzubieten hat, ist eigentlich nichts als ein: Die Zeit heilt alle Wunden. Anders gesagt, die Hüterin der Bürgerrechte pustet auf die Verletzung. Nun füge man noch etwas vom Aromastoff namens »gemeinsam« hinzu, tremoliere weiter auf dem »Vertrauen«, und man hinterlässt nichts als den Eindruck, dass die Bundesrepublik der Ausspähung des Kanzlerinnen-Handys nichts entgegenzusetzen hat, also auch nicht der Überwachung des Volkes, dem sie zu dienen schwor. Es gibt nichts zu beschönigen: Die Einhaltung von Statuten, die Deutschland als Grundrecht versteht, gehört offenbar nicht zu dem, was dem Wohl des Volkes zugeordnet wird. Die Debatte dazu aber soll später folgen.
    Mittag ist es, aber es dämmert. Zwischenrufe kommen keine, von wo auch? Bis auf die Linke kann keine Partei sicher sein, an der Regierung nicht beteiligt zu werden. An der Tatsache, dass er gleich nach der Kanzlerin, also die Opposition führend, sprechen dürfe, so Dietmar Bartsch ( DIE LINKE ), sei ablesbar, dass man sich bereits auf die Große Koalition eingestellt habe. Aber die alten Minister sitzen noch da. Bartsch fordert Respekt vor dem Parlament ein, drängt auf rasches Arbeiten, nennt die Themen, die alle bewegen, aber im Parlament nicht vorkommen. Er versucht einen Parforceritt durch NSA , nicht beendete Finanzkrise, fehlende Visa-Erleichterungen für Bürgerinnen und Bürger aus Osteuropa. Doch Merkel lacht gerade mit Rösler. Bartsch referiert, aber er überzeugt nicht, rattert die Arbeitslosenstatistiken aus Europa herunter, empört sich. Gegen den Eindruck, den er hinterlässt, ist er dennoch machtlos: So aussichtslos furios wird Opposition wohl künftig sein.
    Weil die Abgeordneten gerade weniger Arbeit haben, hören sie besser zu, jetzt Anton Hofreiter (B  90 / DIE GRÜNEN ), der gerade zu seiner ersten Rede als Parteivorsitzender ans Rednerpult schlurft, äußerlich die Gründerjahre der Grünen assoziierend, inhaltlich in voller

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