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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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Bundestagsvizepräsidentin. Auf den Pressetribünen assoziiert man das alles mit dem Zusammenkommen der Klasse nach den großen Ferien. Dann kippt der Überschwang ins Feierliche.
    Da sich der Bundestag noch nicht konstituiert hat, bleiben die Ministerbänke leer, die bisherigen Amtsträger verteilen sich auf das Plenum. Sie werden heute ihre Entlassungsurkunde erhalten, aber geschäftsführend im Amt bleiben. Der gern euphorisiert auftretende Alterspräsident Heinz Riesenhuber eröffnet mit der tiefen Vibratostimme und einem Standard, verwandt der US -amerikanischen Hochzeitsformel: »Ist jemand in diesem Haus früher geboren als ich?« So rede er oder schweige ewig, ergänzt man.
    Zum zweiten Mal schon eröffnet er eine Legislaturperiode, tut es, indem er das Plenum auf Daseinsbejahung einstimmt, vor allem »die Neuen, die in eine faszinierende Arbeit starten«, die vor »Herausforderungen komplexester Art« stehen. Dann extemporiert er einen Lobpreis von Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur, wagt den Verweis, dass die Zukunft auch von Ständen gestaltet werde, die im Spektrum der parlamentarischen Berufe nicht vertreten seien. Er will den »demografischen Wandel als Chance begreifen« – ja, denkt man, nichts auf der Welt besteht, das nicht aus irgendeinem Winkel als Chance betrachtet werden kann. »Das große Versprechen der Sozialen Marktwirtschaft«, der »Aufstieg« aber, wird heute als groß und sozial beschrieben, nicht als gebrochenes Versprechen für viele. Aber dann biegt Riesenhuber in die Erwartung ab, dass alle »hoffentlich bei hellem Geist« seien, und tollt auf das unbedenkliche Feld der Lebensfreude.
    Am hellen Geist des Redners kann kein Zweifel sein, an der Funktion seiner Rede schon. Ihre Dramaturgie ist vergleichsweise vorhersehbar: Aus dem schieren Optimismus stürzt sie ins Appellative: »das müssen wir verwirklichen«, »das Reich der erneuerbaren Energien errichten«, »die Gemeinschaft neu zu erfinden«. Riesenhuber schwört das Parlament ein wie eine Loge, die sich zum Schwur trifft, legt die Linke in die rechte Armbeuge, verharrt mit der Hand am Mund, wendet sich an die Bundesratsbank, von wo ihm Volker Bouffier mit dem Charisma eines Raubfisches zulächelt.
    Die Werte der Demokratie regnen herunter. Da ist keine Silbe, die ohne gestische Untermalung bliebe. »Unser Ansehen in der Öffentlichkeit ist noch nicht oberhalb der Bischöfe«, sagt er gerade und hält in das milde Schmunzeln des Saals hinein fest: »Es ist gut für Deutschland, wenn die Abgeordneten auch fraktionsübergreifend ein Bier miteinander trinken.« Deutschland und Bier: die Kombination zündet immer. Dann dankt er den Lebenspartnern der Parlamentarier, denn »nicht immer steht man so fröhlich auf, wie man ins Bett gegangen ist«. Man weiß nicht genau, warum das gesagt werden muss, aber Frau Riesenhuber wird es ihm danken, auch wenn diese Witze immer ein Hauch von Unfreiwilligkeit umgibt. Wissen sollen wir: Spaß muss sein; carpe diem; uns wird nichts mangeln. Der Saal träumt still, Hinterbänkler filmen das Geschehen mit dem Smartphone und erfahren: »Stillstand darf nicht sein.« Applaus!
    Die Präsidiumskandidaten werden anschließend von den Fraktionsvorsitzenden vorgeschlagen. In den Schutzräumen der Kabinen darf dann abgestimmt werden. Das Prozedere zieht sich, alle werden alphabetisch gereiht aufgerufen. So ist schließlich jeder Name einmal in diesem Raum gehört worden. Nachdem Norbert Lammert im Amt des Bundestagspräsidenten bestätigt ist, nimmt er die Amtsgeschäfte mit seiner Antrittsrede auf und bleibt sich treu: 24  Minuten spricht er, entschlossen, notfalls auch die Seinen nicht zu schonen, und postuliert sogleich, eine geschäftsführend amtierende Bundesregierung brauche nicht weniger parlamentarische Kontrolle als eine neu gewählte. Schon diese Aussage schmeckt nicht allen.
    »Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages«, so mahnt er mit Artikel  38 des Grundgesetzes, »sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen«. Angesichts der veränderten Mehrheitsverhältnisse haben auch diese Formulierungen einen veränderten Klang, und so prägt er, das Parlament wie ein Pastorat überblickend, dem Plenum ein: »Die Kultur einer parlamentarischen Demokratie kommt weniger darin zum Ausdruck, dass am Ende Mehrheiten entscheiden, sondern darin, dass Minderheiten eigene Rechtsansprüche haben, die weder der Billigung noch der Genehmigung

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