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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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ungläubige Nachfragen, die der Staatssekretär, weil er nicht zugegen war, nicht beantworten kann. Folglich beantragt die Fraktion der Günen, zur weiteren Befragung den Minister selbst einzubestellen. Die Abstimmung darüber ergibt keine klaren Mehrheitsverhältnisse. Es folgt ein Hammelsprung zur Frage, ob Minister Ramsauer zur Auskunft über jenes informelle Treffen herzitiert werden solle. Die Tribüne lacht. Alle Abgeordneten müssen den Saal verlassen, nur die Protokollführer wieseln umher. Zu den Abstimmungen tröpfeln die Delegierten einzeln in den Saal. Es herrscht ein Geschrei wie auf dem Pausenhof, »ein Affentheater«, sagt ein Sicherheitsbeamter, »das können Sie schreiben«.
    Mitten im Hammelsprung ist Ramsauer plötzlich da, nimmt sogar auf der Regierungsbank Platz. Der Hammelsprung aber, der darüber befinden soll, ob er einbestellt werden muss, geht weiter. Das akustische Signal ruft die Abstimmungsberechtigten aus den benachbarten Gebäuden. Die schweigenden Zuschauer auf den Tribünen sehen mäßig belustigt zu, wie sich die Arena langsam wieder füllt. Kopfschütteln überall, jemand nennt es »Farce«. Das Plenum ist nun erheblich voller. Alle drängen herein, nur damit entschieden werde, ob Peter Ramsauer mitzuteilen habe, was er bei einem vermeintlich eher zufälligen, nicht protokollierten Gespräch mit Herrn Amann über mögliche Terminschwierigkeiten beim Bau des Flughafens Berlin-Brandenburg erfahren oder nicht erfahren habe.
    Erst wird die Rechtmäßigkeit der Abstimmung festgestellt, dann übermitteln Schriftführer der Präsidentin das Ergebnis: »der Antrag auf Herbeizitierung des Herrn Ministers« ist abgelehnt. Da Minister Ramsauer aber auch ohne Herbeizitierung auf der Regierungsbank sitzt und sich zur Antwort bereit erklärt hat, kann er nun trotzdem befragt werden. Das wird er, und er antwortet: »Eine derartige Situation habe ich in über 22  Jahren Mitgliedschaft in diesem Hohen Hause noch nie erlebt. Wie kann man bei einer solch absolut banalen Frage (…) die Geschäftsordnung des Hohen Hauses derartig missbrauchen!«
    Was folgt, ist das zu Erwartende: Die einen nennen die Frage nicht banal, die anderen bezeichnen es als eine »Unverschämtheit«, einen geschäftsordnungsgemäßen Vorgang als »Missbrauch« zu bezeichnen. Die Dritten beklagen, der Minister sei in der Ausschusssitzung nicht da gewesen, erfahren aber von Ramsauer: »Ich habe dann in der Ausschusssitzung festgestellt, dass ich da bin.« Die Erregungen schaukeln sich hoch zu Turbulenzen, bis jemand fordert: »Frau Präsidentin, vielleicht können Sie hier die Arbeitsfähigkeit herstellen!« Er hält aber an, der Sturm ums Da-Sein oder Nicht-da-Sein.
    Schließlich springt die eigene Fraktion dem Minister noch mit Gefälligkeitsfragen bei, und in diesem ganzen höfischen Zeremoniell sind die Abläufe zwar theoretisch sinnvoll, zugleich aber absurd, wo es um die Resultate einer viertelstündigen, offensichtlich ergebnislosen Zufallsbegegnung geht. Die Tagesschau wird abends aus all dem einen einzigen Satz Ramsauers herauslösen, der belegen soll, der Minister habe »gereizt« reagiert. Gereizt habe ich ihn nicht gesehen, eher zufrieden mit sich, mitgerissen von einem Hang zum Schwadronieren und zum Ausbreiten seiner Prinzipien: »Wenn es mir möglich ist, empfange ich Gäste und spreche mit ihnen.« Niemand, stellt eine Statistik noch im selben Jahr fest, sagt im Parlament so häufig »ich« wie Ramsauer. Auf der Tribüne ist zu dieser Zeit die Freude am Spektakel der Missbilligung gewichen.

Donnerstag, 17 . Januar, 9  Uhr
    Am Vortag hat Gregor Gysi seinen 65 . Geburtstag in der Kuppel gefeiert. Im Dschungelcamp ging Georgina in ihre siebte Prüfung, der Bachelor verabschiedete sich beklommen von zwei Blondinen. Pep Guardiola unterschrieb bei den Bayern, Lance Armstrong feierte seine Doping-Beichte bei Oprah, und Gerard Dépardieu, der Neurusse, polemisierte gegen die Pussy Riots. Der Bundestag beginnt seine Arbeit mit der Regierungserklärung zum Jahreswirtschaftsbericht.
    Das Parlament ist heute gut gefüllt, auch die Regierungsbank zeigt ihr Personal vor. Noch drei Tage bis zur Niedersachsenwahl. Ist es das, was den Willen zur Präsenz stimuliert? Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler, der noch kürzeste Strecken so zurücklegen kann, als müsse er sie überfliegen wie ein Schriftstück, versprüht hochdosierten Optimismus. Die Wirtschaft, die er lenkt, ist »Stabilitätsanker« und »Wachstumsmotor«,

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