Das Hohe Haus
die Aussichten, die sich mit Rot-Grün verbinden, das sind »Zusammenbruch der Währung« und »Enteignung«.
Es gibt niemanden, der das glaubt, aber es muss offenbar gesagt werden. Es ist wie die Waschmittelwerbung. Sie kennt Hausfrauen, die es in der Wirklichkeit nicht gibt. Aber es gäbe sie in der Werbung nicht, wenn sie nicht wirkten. Für die Tribünen-Zuschauer, die in ihrem Leben vielleicht nur einmal eine Stunde Live-Parlament bekommen, ist dies eine Enttäuschung, weil die Differenzierung hier nicht höher ist, sondern genauso wie im Fernsehen. Hört denn die Talkshow nie mehr auf? Da sitzen sie in ihren Lebensaltern: die Weißhaarigen, für die all das zu spät kommt, und die Jungen, die abgelöscht ins Plenum schauen, lange stumm und steif sitzen, dann zu zappeln beginnen, die Beine dehnen, mit den Fingern spielen, ihre Neurodermitis aufkratzen.
Hubertus Heil ( SPD ) komplettiert die Arbeit nach alten Mustern. Er spricht von den »klebrigen Fingern« des »Bundesfinanzministers«, dem Jahreswirtschaftsbericht als einem »Dokument der Untätigkeit«, dem Ministerium als einem »Totalausfall«. Er wendet sich direkt an eine Unaufmerksamkeit demonstrierende Kanzlerin: »Frau Merkel, hören Sie gut zu«, aber dann kommt eine Banalität, die kein Zuhören verdient, schon gar kein gutes, und Michael Grosse-Brömer ( CDU / CSU ) ruft rein: »Das Niveau von Eierlikör!« Am Ende wird Hubertus Heil das Verdienst für sich in Anspruch nehmen können, den CDU / CSU -Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder in einer einzigen Rede zu folgenden Zwischenrufen inspiriert zu haben: »Ha, ha, ha!« – »Mann, war das eine tolle Nummer! Ha, ha, ha!« – »Herr Heil, das glauben nicht einmal Ihre Wohnzimmerfreunde!« – »Mann, sind Sie ein primitiver Kerl!« – »Sie arroganter Kerl, Sie!« – »Aufgeblasener Kerl!« – »Nein! Ich bin ganz fröhlich!« – »Weil Sie auf der Oppositionsbank sitzen, sind wir stark!« – »Ha, ha, ha!« – »Sie haben einen Totalausfall ganz woanders! Schauen Sie mal Ihre Totalausfälle an! Die sitzen heute hier!« – »Ha, ha, ha!« – »Genau!«
Gregor Gysi ( DIE LINKE ) macht sich bereit. Er kommt von außen, seine Position ist hoffnungslos. Deshalb spricht er gut, ohne die realpolitische Vernebelung, die die Koalitions- und Lobbyarbeit so mit sich bringt. Er ist der Typus des Parlamentariers, der das Richtige immer wieder vergeblich gesagt hat. Das hat seine Intelligenz geschärft, nicht beschädigt. Aber dies Vergebliche liegt auf dem, was er sagt, wie ein Film. Deshalb sitzt ihm der Humor locker. Er interpretiert ihn in der fröhlich-fatalistischen Variante.
Merkel geht, als Gysi kommt. Er spricht frei, bezichtigt den Wirtschaftsminister, seinen Jahresbericht erst mit den Wirtschaftsvertretern abzustimmen, bevor er ihn dem Parlament präsentiere. Er klagt über den »Primat der Wirtschaft über die Politik«, reklamiert genug Lohn für die, die ihr Leben lang arbeiten. Rösler reagiert mit der Schnute. Manchmal versucht er ein Feixen, mal ein Schmollen. Er, der so oft den Schlingelbonus für sich in Anspruch nimmt, trotzt jetzt kindlich.
Inzwischen referiert Gysi, wie die Reallöhne gesunken, die Armutsrisiken gewachsen sind. Er klagt über die erste Zeit in der jüngeren deutschen Geschichte, in der man mit Vollzeitarbeit nicht genug zum Leben hat, votiert für eine Vermögenssteuer, denn die Reichsten »merken gar nicht, wenn das abgebucht wird«. Er will ausholen, um den Wirtschaftsminister der Fälschung zu zeihen, doch Lammert unterbricht: »Da haben Sie aber fast Glück, dass dafür auch gar keine Zeit mehr besteht.« »Herr Bundestagspräsident«, kontert Gysi, »ich werde mir jetzt einmal notieren, wann Sie Geburtstag haben. Dann werde ich Ihnen eine neue Uhr schenken. Ich muss Ihnen Folgendes erklären: Es gibt hier Leute, die elf Minuten reden, und das kommt mir dann wie eine halbe Stunde vor. Bei mir rennt Ihre Uhr immer. Aber ich danke Ihnen trotzdem. Alles Gute.« Und Lammert erwidert: »Herr Kollege Gysi, falls Sie den verwegenen Gedanken mit der Uhr weiterverfolgen wollen, bitte ich herzlich darum, die Wertgrenzen einzuhalten, da Sie mich ansonsten zwingen würden, zunächst beim Bundestagspräsidenten die Genehmigung einzuholen.«
Der Saal fühlt kurz die vitalisierende Wirkung der Pointe, gleich wird er die sedierende des Gemeinplatzes fühlen. Hermann Otto Solms ( FDP ), einer der Stellvertreter Lammerts, steht am Pult, redet von einem Land, in
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