Das Hohe Haus
echte Bauern und Veterinäre.
»Gehen Sie einmal in einen Kuhstall, und Sie werden feststellen: Die Kühe sind größer geworden«, ruft Christel Happach-Kasan ( FDP ), und Hans-Michael Goldmann ( FDP ) erzählt vom Landkreis Emsland, dem »wild-morastigen Fehn«, in dem er Kind war: »Liebe Freunde, ich bin mit meinem Vater, der Tierarzt war – ich bin ebenfalls Tierarzt –, zu Zeiten durchs Emsland gefahren, da die Kühe angekettet waren und deswegen eine große haarlose Stelle um den Hals hatten. Weil es dunkel war, hatte mein Vater eine Taschenlampe im Mund, um die Nummer auf der Ohrmarke abzulesen. Die Hinterbeine der Tiere standen im Dreck, und wenn man ihnen zu nahe kam, hauten sie einem mit einem vollgeschissenen Schwanz durchs Gesicht. So waren die Haltungsbedingungen.«
Auf der Höhe seiner Möglichkeiten ist der Bundestag immer dann, wenn eine Debatte den ganzen Bogen von der Globalisierungsstatistik über die Schweinemett-Belastung bis in die Realität der Ställe spannt. Rasant ist, wie die Kenntnis der Materie, die fast alle Debatten auszeichnet – und die nicht zuletzt der akribischen Arbeit des Parlamentarischen Informationsdienstes geschuldet ist –, mit der Anschauung so verknüpft wird, dass man plötzlich einen Stall, einen Betrieb, einen Bauern sieht und merkt: Das Parlament besucht sogar Ställe und versammelt zum Glück auch noch ein paar Bauern und Arbeiter in seinen Reihen.
So sieht man plötzlich die osteuropäischen Schlachter vor sich, die, »Eimermenschen« genannt, mit Werkverträgen ausgestattet, elend untergebracht, für einen Hungerlohn beschäftigt werden. Man hört vom katholischen Glaubensmann, dem wegen seines Protests gegen die Arbeitsbedingungen im Schlachtbetrieb »nach Mafiamethode als Drohung ein abgezogenes Kaninchen vor die Haustür gelegt« wurde, man erfährt, was eine Übernachtung im Vier-Bett-Zimmer den Aushilfsschlachter kostet, und freut sich nebenher an Epigrammen wie: »Jedes dritte Schwein in Deutschland verbringt sein Leben in Niedersachsen.«
Die Stimmung ist inzwischen von leichtherziger Gereiztheit, die Oberfläche bewegt von stark expressivem Verhalten, von Ausrufen, Schaulachen, Gesten des Abwinkens und Fäuste-Reckens, bitteren Beschuldigungen. Unterdessen verrät der Blick in den Saal die Routine, parallel ein Blättern, Krakeln, Umdrehen, gestreute Aufmerksamkeit mit reflexartigem Reinrufen. Dann schreitet Friedrich Ostendorff ( B 90 / DIE GRÜNEN ) zum Pult wie unter einer existentiellen Bürde. Seine Körperhaltung verdankt sich, so scheint es, der Last seiner Erkenntnis: 35 Höfe am Tag machen dicht, schuld daran ist auch die Selbstauslieferung der »Volkspartei CDU « an den Bauernverband, so sagt er. Nur wenige Stunden im parlamentarischen Jahr und schon ist das Reizthema Lobbyismus auf dem Tisch.
Nun ist die Erregung echt, geht es doch um Wesen und Funktion des Parlaments, geht es doch auch um die Freiheit des Parlamentariers. Man muss sich vorstellen, wie porös das Gebilde des Fraktionsstandpunkts wird, wenn die Emissäre aus dem »Haus der Wirtschaft«, dem »Haus des Handwerks«, dem »Haus des Handels«, die Vertreter großer Unternehmen und Verbände die Parlamentarier bestürmen oder besser noch die Referenten der Parlamentarier, denn sie sind es, die das Ohr des Abgeordneten haben. Konzerne und Verbände verfolgen ihre Initiativen, flankiert von ehemaligen Ministerialbeamten oder Ministern, die die Seiten gewechselt haben, jeden parlamentarischen Entscheidungsweg und Abweg kennen und erst die Ausschussarbeit, dann das Abstimmungsverhalten zu lenken wissen. Die Begegnung zwischen Parlamentariern und Lobbyisten ist auch eine zwischen Gewählten und Nichtgewählten. Nur die Letzteren haben keine Legitimationsprobleme.
Es gibt Gesetzesvorlagen, die zum großen Teil auf die Vorschläge der Lobby zurückgehen, es gibt solche, die von Kanzleien oder Agenturen vorformuliert werden, dann wieder solche, die sich auf firmeneigene Expertisen, Studien und Erhebungen stützen. Zum Austausch gibt es parlamentarische Abende, Kulturprogramme, Empfänge, Essen, organisiert von Event-Agenturen, entworfen, um die Stimmung zu erzeugen, in der der Parlamentarier durchlässig wird für die Interessen derer, die einladen. Wie soll er da gleichzeitig noch unabhängig sein?
Gewiss haben immer beide Seiten ihre Lobby, die Wirtschafts-, Industrie- und Arbeitgeberverbände auf der einen, die NGO s und die Gewerkschaften auf der anderen Seite. So
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