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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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behandelt. Und das meint nicht, die geistig unbeschenkte Polemik eines einzelnen Freidemokraten, sondern den Gesinnungsapplaus der Claqueure.  
    Auf dem Saal ruht ein diffuses Winterlicht, unter dem man auf drei Ebenen Menschen flanieren sieht. Selbst aus der Kuppel blickt man auf uns herab. Ist dies ein Aquarium? Aber obwohl den Blicken von allen Seiten zugänglich, ist es noch nicht durchsichtig. Ich denke an die Assemblée nationale, holzgetäfelt, in imperialem Rot ausstaffiert, denke an das englische Unterhaus, das dunkle Holz mit grünen Sitzen bepolstert, das italienische Parlament in Dunkel und Rot. Alle diese geschlossenen Räume suggerieren, dass sich die Rede aller Zeiten noch darin aufhält. Wenn diese Wände reden könnten, denkt man und hört die Stimmen parlamentarischer Auseinandersetzungen aus allen Zeiten.
    Glas redet nicht, es lässt durch. Dieser Raum will sagen: Es ist alles flüchtig. Wir werden von allen Seiten beobachtet. Wollen wir heimlich sein, müssen wir uns anstrengen, das heißt, noch undurchsichtiger werden, wenn schon der Saal es nicht ist, damit die Grenze zur Außenwelt, zur Allgemeinheit verwischt erscheine. Der Reichstag ist also modern als Monument des Flüchtigen. Seine gläsernen Flächen sagen: Wir bewahren nichts, wir merken uns nichts, aber alles ist hier schon durchgeflogen. Durchsichtige Wände sind ahistorisch, sie dokumentieren das Spur- und Folgenlose. Auch das ist symbolisch, denn vielleicht ist ja das Parlament kein Zentrum, sondern nur eines von zahlreichen Subzentren der Macht – wie das Hinterzimmer, der Ausschussraum, das Podium, der Gerichtssaal, das Fernsehstudio.
    Das Zauberwort der zehner Jahre ist im Bau architektonisch vorweggenommen: Transparenz. Für die Dokumentation heißt das auch, neue und alte Daten sind heute leichter verfügbar. Ein Klatschen, das vor Jahren geklatscht wurde, ist in den Protokollen des Bundestags immer noch eingelagert – und bedeutet was, setzt wen ins Unrecht? Und ist er noch blamierbar? Er wird sagen: »Später ist man immer klüger.« »Wir irrten.« »Wir meinten es gut.« Es gibt ein Ich, das hier redet, und eines, das sich revidieren lässt. Als es keine Massenvernichtungswaffen im Irak gab, wer trat zurück, weil er ihretwegen für einen Krieg votiert hatte? Wer versagte sich schamhaft Talkshow-Auftritte und neues Expertentum? Alle Informationen dazu sind verfügbar, aber über wenige wird verfügt. Zugleich wächst die Undurchsichtigkeit der politischen Prozesse. Wie kommen Entscheidungen zustande? Wer kann die Euro-Rettung noch erklären? Und ist der Ort für beides das Parlament?
    Wie oft habe ich in wenigen Tagen auf der Tribüne Verweise auf Fernsehsendungen gehört, wie oft erlebt, dass politische Nachrichten nicht zuerst im Parlament, sondern dort verlautbart wurden. Das Wichtigste ist also oftmals längst dort gesagt, wo die Reichweiten größer sind. So tritt das Parlament die Hoheit des ersten Worts an die Massenmedien ab. Lange hatten sich Abgeordnete gegen Fernsehübertragungen mit dem Argument gewehrt, sie würden zur Verflachung der Debatten, zu »Fensterreden« führen. Heute behandeln sie das Parlament kaum anders als die Talkshow.
    Gerade agiert am Pult Heinz Riesenhuber ( CDU / CSU ) im roten Pullover samt obligatorischer Fliege. Mit der Gestik des Opernsängers dirigiert er vom Pult aus jeden Flügel des Hauses, sackt, während er die Erfolge beziffert, in die Hocke, weicht zurück bis an die Kante des Pults hinter ihm, testet die Linke in der Hosentasche, während die Rechte über seinem Kopf wie eine Drohne schwebt, ehe sie abwärts stößt, als wolle sie einen Vernichtungsschaden auf den Oppositionsbänken anrichten.
    Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt thront hinter ihm, wie aus dramaturgischen Gründen als Kontrastmittel eingesetzt. Eben zeigt sie die elegische Ausstrahlung einer Mater dolorosa mit schwarz gerahmtem Gesicht. Jetzt schlägt Riesenhuber die Beine zusammen, jetzt ist er in den Knien wie ein Jockey, jetzt rührt seine Hand einen zähen Teig, jetzt segnet er Gangnam Style, ja, jetzt reitet er. Hat er eine Madonnenerscheinung? »Jawoll, das wollen wir!« Dazu öffnet er die Arme vor dem gereckten Bauch, Ohnmacht verkörpernd. In schöner Altarbild-Tradition nimmt er mit den Händen eines Verkündigungsengels das Licht aus der Kuppel auf, führt dann aber im nächsten Augenblick die Hände an die Hüften wie im Western: »Wir vertrauen auch darauf, (…) dass uns

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