Das Hohe Haus
Schwesig eingefunden, die keine Mitglieder des Bundestags sind, aber heute ihre Ernennung zu Ministerinnen erwarten. Auf der Anzeigetafel liest man: »Geheime Wahl mit Stimmkarte und Wahlausweis.« Nach Abgabe der Voten ist eine Sitzungsunterbrechung angesetzt. Viele Fotos werden heute geschossen, sie werden sich alle sehr ähnlich sein. Merkel trägt Schwarz, weil sich das so gehört am Tag der Symbole. Sogar ihre Mutter sitzt auf der Tribüne und winkt, eine freundliche Queen Mum. Andere Abgeordnete haben Familienangehörige, auch Kinder, mitgebracht.
Um 10 Uhr 11 ruft Präsident Lammert das Plenum wieder zusammen. Auf der Bundesratsbank macht vor allem Horst Seehofer raumgreifend auf sich aufmerksam, winkt ins Plenum, feixt. Die gute Laune läuft dem Ergebnis voraus, mit dem die Wähler ihren Willen bekommen: 621 Stimmen wurden abgegeben, keine war ungültig, mit Ja stimmten 462 Abgeordnete. Während die Journalisten schon die Zahlen deuten, die Gekürte von Volker Kauder einen Blumenstrauß entgegennimmt, in dem Blattgrün und Blütenrot dominieren, setzt ein anhaltender Applaus ein. 150 Nein-Stimmen, neun Enthaltungen, das bedeutet: 42 Stimmen aus den eigenen Reihen fehlen der Kanzlerin. Ein paar Abgeordnete waren krank oder verhindert, es dürften also nicht mehr als 32 Großkoalitionäre sein, die der Kanzlerin ihre Stimme verweigerten. Das findet Gregor Gysi ( DIE LINKE ) zwar pflichtschuldig bedenklich, doch wenn man noch all die Angriffe im Ohr hat, die die SPD eine Legislaturperiode lang gegen Angela Merkel führte, dann glaubt man der Kanzlerin durchaus, wenn sie sagt, sie habe ein schlechteres Ergebnis erwartet. Und hatten der letzten Großen Koalition nicht 51 Stimmen gefehlt? Das Drama bleibt also wieder aus.
»Herr Präsident, ich nehme die Wahl an.« Es folgt die unbeholfene Umarmung Volker Kauders, die vereinnahmende Horst Seehofers, in der die Kanzlerin kurz ertrinkt, der Kuss von Ronald Pofalla. »Erfolg und Gottes Segen« wird ihr gewünscht, ehe man von 10 Uhr 17 bis 12 Uhr in die Sitzungsunterbrechung vor der Vereidigung geht. Das Defilee der Gratulanten reißt nicht ab. Jede Geste hat eine eigene Aufladung mit Respekt, Würde, Herzlichkeit. Auch Norbert Lammert reiht sich in die Schlange der Gratulanten, klopft seiner Vorsitzenden dann jovial den Oberarm, was sie mit zaghaftem Klopfen seines Oberarms beantwortet. Es hat etwas von der Schüchternheit beim ersten Rendezvous.
Nun wird sich Angela Merkel Zeit nehmen müssen für die Gratulationen, sie wird Miene machen müssen, schließlich wollen alle berücksichtigt werden, und mit allen wechselt sie zwei Sätze. Da ist viel Kopf-Neigen, Strahlen, nickendes Bekräftigen. Manches Gesicht ist bewundernd, dankbar, manches wird maskenhaft in der Freundlichkeit. Von allen Seiten lassen die Parlamentarier von Parlamentariern ihr Händeschütteln mit der Kanzlerin fotografieren. Manche drehen sich sogar richtig zur Kamera ein. Man kann sich vorstellen, wie die Büroräume aussehen, in denen diese Fotos landen, die Goldrahmen, aus denen diese Gesichter starren und die Glorie der gewonnenen Wahl zitieren werden. Auf Merkels Platz liegen jetzt drei Blumensträuße, einer rot-grün, einer orange, einer kakelbunt.
Unterbrochen aber wurde die Sitzung nicht für Glückwünsche allein, vielmehr soll inzwischen die Kanzlerin beim Bundespräsidenten ihre Ernennung erhalten, um anschließend im Bundestag ihren Eid zu leisten. Unterdessen sitzt Seehofer in der ersten Reihe der SPD und verhandelt lächelnd mit Dobrindt, Hasselfeldt, Gabriel, während sich die anderen um ihn, den einzig Sitzenden, wie um einen Götzen scharen.
Im Parlamentsrestaurant sitzt die frischgebackene Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Kreise ihrer Familie. Man wird sie »Mutter der Kompanie« nennen. Das ist unausweichlich. Sie wird es erst dulden, dann wie eine Auszeichnung tragen und eines Tages wohl von welcher selbstgewählten Musik im Zapfenstreich verabschiedet werden? Mehrere CDU -Abgeordnete gratulieren Claudia Roth (B 90 / DIE GRÜNEN ) zu einem »guten Tag« für Deutschland. Sie meinen Hessen, wo gerade eine schwarz-grüne Koalition auf die wackligen Beine gestellt wurde. Nein, auch auf Bundesebene ist das Bedauern über die gescheiterten Verhandlungen von Schwarz-Grün nicht ganz verflogen.
Das Restaurant ist in diesen Stunden wieder der Ort der Termingeschäfte mit Informationen und Spekulationen, der Kommentare zu neuen
Weitere Kostenlose Bücher