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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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Sitzungstage, und wir sind im Dezember. Auch weiß diese Seite, immerhin das Tor des Parlaments zur Öffentlichkeit, die Termine oft zuletzt und verzeichnet manchmal bis Freitag noch nicht die Sitzung vom kommenden Montag. Manchmal stellt man in der Pressestelle Spekulationen zu kommenden Terminen an. Einmal hat der Journalist, der auf der Tribüne neben mir saß, einer Parlamentarierin, die gerade das Rednerpult verlassen hatte, eine SMS geschickt und nach dem nächsten Sitzungstag gefragt. Wir konnten ihr zusehen, wie sie unten aus dem Plenum Tag und Uhrzeit zu uns hinaufschickte.
    Augenblicklich aber liegt der Saal verlassen da. Dafür sind so viele Politiker im Fernsehen zu betrachten wie nie. Sie treten auf als Exegeten und Verteidiger des Koalitionsvertrags, in Opposition zur Opposition, in Opposition auch zu den Gegnern der Großen Koalition in den eigenen Reihen, in Opposition zu den eigenen Überzeugungen, so wie sie sie zum Mindestlohn, zum Betreuungsgeld, zur PKW -Maut, zur »Möwenpick-Steuer« und zu zahllosen anderen Themen, vor allem aber zur Kanzlerin, ihrem Stil, ihrem Lächeln, ihren Betäubungszonen artikuliert, wenn nicht herausgebrüllt und endlos wiederholt haben.

Dienstag, 17 . Dezember, 9  Uhr
    Nelson Mandela ist tot. China schickt einen Rover namens »Jadehase« zum Mond. Die Revolution in Kiew wird von Vitali Klitschko angeführt. In Syrien bricht der Winter über zerbombte Städte herein und jenseits der Landesgrenzen über die Flüchtlingslager.
    In Berlin haben die mit 86  Tagen längsten Koalitionsverhandlungen in der Geschichte der Bundesrepublik stattgefunden. Herausgekommen ist ein Kabinett, das von der öffentlichen Kommentierung für erstaunlich SPD -stark befunden und rasch in »Aufsteiger« und »Absteiger« zerlegt wird. Mit Verblüffung quittiert man die neue Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen.
    Ein harter, klarer Wintertag. Es ist noch dunkel, als ich in Berlin eintreffe. Der Taxifahrer erklärt mir übergangslos, dass heute die Kanzlerin vereidigt werde, von diesem »Semi-Bigamisten«, fügt er hinzu und hebt zu einer Verurteilung von Joachim Gaucks Lebensführung an. Das gibt es also auch noch.
    Der Parlamentarier-Eingang an der Ostflanke wird umlagert von Journalisten, die im Pulk mit jedem einzelnen namhaften Abgeordneten ziehen. Gerade werden sie getrieben von der Erscheinung Horst Seehofers, der sein zufriedenstes Lächeln lächelt, und er kennt nur zufriedene. Fotografen und Kamerateams treiben ihn wie eine Schaumkrone vom Wagen bis zur Rampe, von der Rampe bis zu den Stufen, von wo aus er sich noch einmal umwendet, ein Sonnenkönig. Es sei »ein guter Tag«, höre ich, man sei »sehr zufrieden« – vor allem wohl mit sich selbst, aber das sagt er nicht.
    Schon eine Viertelstunde vor Sitzungsbeginn sind Saal und Tribünen mit Zuschauern und Journalisten so dicht besetzt wie nie, doch ist heute nichts zu erwarten als symbolisches Handeln. Die Journalisten suchen noch ihre Bewertungen der Ressortverteilung. Manche setzen in den Gruppen-Gesprächen Hintergrundinformationen ab und befeuern die Konkurrenz der Eingeweihten. Man deutet Mienen, Vier-Augen-Konstellationen, analysiert die Halbtöne der Verlautbarungen. Was für eine Fügung: Oben als Souverän das Volk in stiller Betrachtung seiner Vertreter, unten der Schwarm der Delegierten, die im Blick der Betrachter so manches Rad schlagen.
    Nachdem Bundestagspräsident Norbert Lammert einen Nachruf auf Nelson Mandela formuliert und an dessen Rede im Deutschen Bundestag erinnert hat, erheben sich alle für einen Moment des Schweigens. Kein Flüstern, kein Atmen ist vernehmbar, nur die Auslöser der Fotokameras klackern weiter. Ein Moment, zu kurz für Einkehr, zu flüchtig, um die bleibende Bedeutung des Mannes zu umreißen, nach Sekunden vorbei.
    Als zur Abstimmung über das Amt der Bundeskanzlerin die Namen sämtlicher Abgeordneter in alphabetischer Reihenfolge verlesen werden, erheben sich auch auf der Tribüne alle und schauen in dieses Rund da unten, wo sich die Parlamentarier ballen. So wenig es zu sehen gibt – Ex- TV -Kommissar und CDU -Neuling Charles M. Huber sucht Anschluss –, die Aufmerksamkeit ist dennoch gespannt. Die Abgeordneten streben den Urnen zu, manche ironisch lächelnd, sind sie doch Teil einer Choreographie von zugleich höchster Bedeutung und banaler Vorhersehbarkeit.
    Auf der Ehrentribüne haben sich neben Rita Süßmuth und Guido Westerwelle auch Johanna Wanka und Manuela

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