Das Hohe Haus
Staatssekretären und designierten Ausschussmitgliedern. Auch wird vom Jahr 2017 viel gesprochen als dem Jahr nach Merkel. Doch wer glaubt wirklich, dass sie des Amtes dann überdrüssig sein könnte? Heute ist jedenfalls nicht der Tag, ihr die Vorfreude auf diese Entscheidung ansehen zu können. Prosecco-Gläser klirren.
Als Merkel zur Vereidigung unter die Fahne gerufen wird, wo ihr Lammert das aufgeschlagene Grundgesetz entgegenhält wie eine Trophäe, die aus geschlagenen Schlachten gerettet wurde, da gibt sie nicht »die mächtigste Frau der Welt«, sondern eher die leitende Angestellte eines parlamentarischen Instituts. In Situationen des Erfolgs wirkt sie nicht recht beheimatet. Eher möchte sie all das jetzt schleunigst hinter sich bringen. Ihr Gesamtschwarz, das einzig von einer braunen Kette gebrochen wird, wirkt wie Trauer-Schwarz. Aber da alle ringsum bemüht sind, die symbolische Wucht des Augenblicks zu begreifen, fügt sie sich, erhebt erst die Hand, dann die Stimme und ist im Amt.
Allerdings wird die Zeremonie der Vereidigung von einem Rumoren der Besuchertribüne gestört, das so lange wie Protest wirkt, bis man versteht: Eine komplette Schulklasse hatte versäumt, sich zum Eid zu erheben, wurde von der Parlamentsassistentin also streng ermahnt. Aber so schwerfällig die Kommunikation, so träge ist auch die Bewegung der Schülerinnen und Schüler, die immer noch nicht komplett stehen, als der rasche Schwur sein »So wahr mir Gott helfe« und die Kanzlerin die Regierungsbank erreicht hat. Um sich sodann auf ihrem angestammten Stuhl mit Blick auf die Projektruinen ihrer nächsten Amtszeit niederzulassen.
Da wollte sie hin. Da sitzt sie jetzt, schaut ein bisschen verlegen nach beiden Seiten, lächelt erst duldsam, dann schelmisch wie nach einem geglückten Streich, erhebt sich noch einmal kurz zum Dank für all den Applaus und will jetzt arbeiten. Erst wird aber noch das Kabinett ernannt, vom Bundespräsidenten empfangen und anschließend im Hohen Haus vereidigt. Alle fünfzehn neuen Ministerinnen und Minister sprechen den Zusatz »so wahr mir Gott helfe«. Und dann: Morgen. Morgen endlich soll mehr als zwölf Wochen nach der Bundestagswahl die reguläre parlamentarische Arbeit fortgesetzt, um dann übermorgen für die Weihnachtspause wieder unterbrochen zu werden.
Heute, so scheint es, ist das Hohe Haus der eigenen Bedeutung schleppend nachgelaufen, hat Repräsentationsgesten inszeniert und sie eher leidenschaftslos vollzogen. Der Pragmatismus hat triumphiert, während ein paar alte Journalisten noch durch die Flure irrten wie Druidenkönige, Seher, die künden und verheißen wollen und in einem seltsamen Formationstanz mit den frisch gewählten Repräsentanten schon mal neue Figuren einstudieren.
Mittwoch, 18 . Dezember, 9 Uhr
Die Demonstrationen in Kiew bestimmen die Nachrichten. Vitali Klitschko lässt seinen Weltmeistertitel ruhen, um sich ganz der Politik zu widmen. Aus den Flüchtlingslagern von Lampedusa tauchen Videos auf, die den unmenschlichen Umgang mit den Gestrandeten dokumentieren. Auf Madagaskar ist die Pest ausgebrochen.
»Endlich« ist das Wort, das auch Norbert Lammert in seiner Eröffnung der Legislaturperiode wie einen Stoßseufzer herausbringt. Dies mag zwar die fünfte Sitzung seit der Wahl sein, doch ist es zugleich die erste reguläre. Trotzdem: die Ausschüsse sind noch nicht besetzt, die Handlungs- und Beschlussfähigkeit des Parlaments bleibt eingeschränkt.
Angela Merkels Regierungserklärung zum Europäischen Rat findet vor gutgefülltem Plenum statt. Aber der Applaus für die Regierungsparteien dringt noch nicht aus jedem Winkel. Man ist gleichermaßen erschöpft und ausgeruht, außerdem noch unvertraut mit der künftigen Applausordnung. Ein wenig missvergnügt sitzt die grüne Fraktion am alten Platz, eingeklemmt zwischen den beiden Flügeln der Großen Koalition. Das Protokoll verzeichnet zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin das Novum: »Beifall bei der CDU / CSU und der SPD .«
Angela Merkel, wieder im petrolfarbenen Arbeitsjackett, beginnt mit einem Selbstlob, das sich dieses Mal auf Vergangenheit und Zukunft bezieht, auf die Bekämpfung der Bankenkrise, die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, die »Vorsorgepolitik«. Sie unterscheidet zwischen »Fortschritten« und »erheblichen Fortschritten«, zwischen »Erfolg« und »sehr großem Erfolg«, zwischen »erfolgversprechenden Konzepten« und »herausragenden Konzepten«, flankiert von
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