Das Hohe Haus
deutschen Parlamentsgeschichte bereits eingerichtet, den langen Marsch zur Arbeitsfähigkeit des Bundestags, der in diesen Monaten hinter den Parteizentralen fast verschwindet.
Wenn Oppositionsmitglieder sprechen, übt man sich jetzt schon einmal im links-grünen Applaus. Ungewöhnlich die Situation, in der Linke und Grüne auf der Funktionsfähigkeit des Parlaments bestehen, mit vorauseilendem Fatalismus Rechts- und Verfassungsfragen thematisieren. In der Abstimmung triumphiert natürlich die Mehrheit der werdenden Großen Koalition, und ein Journalist sagt lakonisch: »Klappt doch schon!« Sekunden später ist der Hauptausschuss eingesetzt, und man kann sich dem Bundeswehreinsatz im Südsudan zuwenden, für den eine Debatte von 38 Minuten angesetzt wurde.
Mag Thomas de Maizière seine Rhetorik auch ganz in den Dienst des Friedens in Ostafrika stellen, mag das Plenum voll sein, es scheint sich trotzdem gerade niemand gedanklich im Südsudan zu befinden, wo Deutschland mit sechzehn Soldaten und sechs Polizisten vertreten ist. Als de Maizière konstatiert, die bloße Gegenwart dieser Deutschen habe im Südsudan »mäßigende Wirkung«, nun müsse man »vertrauensbildend in der Fläche wirken« und dort weitere fünfzig Soldaten stationieren, bricht einer der Journalisten schon wieder auf, schimpfend, dass es in der ersten außenpolitischen Debatte unter diesen Verhältnissen ausgerechnet um eine Truppenverstärkung gehe. Sie wird im Fortgang der Debatte von der üblichen Betonung der menschenrechtlichen Verpflichtung dieser Mission und vom Dank an die Soldaten begleitet. Ich glaube, in keinem Kontext wird so oft von Menschenrechten gesprochen wie im militärischen. Die sachliche Darstellung der Situation, die durch Kriegspolitik und Umweltveränderungen immer bedrohlicher wird, ist bei allen Rednerinnen und Rednern hochdifferenziert. Die Abstimmung spiegelt dies nicht wider.
Der Verteidigungsminister muss sich sagen lassen, dass er den Sachstand falsch referiert habe, doch hört er ohnehin nicht zu, sondern lacht mit Pofalla. »Der Einsatz konsolidiert keinen Frieden«, wird ihm auch gesagt und wieder einmal um die Frage gerungen, was den Frieden stabilisiere und wie sich die Aufstockung der bewaffneten Streitkräfte, der Wunsch, »global mehr militärische Verantwortung [zu] übernehmen«, wie Philipp Mißfelder ( CDU / CSU ) sagt, mit den »diplomatischen« oder »politischen« Lösungen vertrage, die man eigentlich vertritt. Sicher ist nur, dass sechzehn Soldaten zu Weihnachten im Südsudan für Deutschland Dienst tun werden, auch damit es, sagt eine Rednerin, »zu einer dramatischen Verbesserung der Situation von Kindern kommen« könne. Bezeichnenderweise werden vor allem zwei Worte im Parlament immer wieder abweichend von ihrer lexikalischen Bedeutung verwendet: »dramatisch« und »tragisch«. Heute aber bestaunt die Tribüne allenfalls die kurzen Wege zur Entscheidung über die Aufstockung des Bundeswehrpersonals im Auslandseinsatz.
Zur Debatte über die »Finanzierung der Kinderbetreuung« bleibt das Hohe Haus erstaunlich voll. Viele junge Abgeordnete sind da. Vielleicht wollen sie arbeiten, vielleicht Familienministerin Kristina Schröders vermutlich letzten Auftritt erleben, wie sie selbst lächelnd bemerkt. Sie spricht, die linke Hand auf dem Pult abgestützt, sonst aber in alle Himmelsrichtungen agierend und alle Fraktionen einbeziehend, noch einmal anschaulich, erzählt von Kita-Besuchen, Wasserschäden, trocknendem Holz, notwendigen Hilfen für die Kommunen. Sie ist Didaktikerin, spricht aus der Not, man glaubt ihr die Sorge.
Die größte Herausforderung, resümiert sie, liege darin, dass Familienpolitik »keine abgeleitete Arbeitsmarktpolitik« sei. Dann verabschiedet sie sich, wünscht der Nachfolge im Amt »eine gute Hand« und geht federnd ab, lächelnd, sichtbar von Lasten befreit, auch wenn der Schlussapplaus schnell verebbt und sich Diana Golze ( DIE LINKE ) jenen Punkten zuwendet, die in der »Nacht der langen Messer« alle aus dem Koalitionsvertrag herausverhandelt wurden. Die Verlierer, so die Rednerin, seien die Kinder.
Mittwoch, 11 . Dezember
Auf der Internetseite des Deutschen Bundestags gibt es einen verwaisten Doppelpunkt. Er wartet und wartet. Doch vergeblich, eine Nachricht will sich nicht anschließen. Es ist der Doppelpunkt hinter: »Aktuelle Tagesordnungen«. Unter »Vergangene Tagesordnungen« verzeichnet die Seite nach der Bundestagswahl im September gerade mal drei
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