Das Hohe Haus
Saudi-Arabien mit deutschen Waffen versorgt, Mali dagegen bedroht angeblich den Weltfrieden.
Auch hat es etwas Beklemmendes, zu erleben, dass die Debatte die Vorstellung vom »sauberen Krieg« zumindest so weit pflegt, dass Verweise auf eine mögliche wirtschaftliche Interessenlage, also auf Uran-Vorkommen, für anstößig gehalten werden, während man die Idee, mit Waffengewalt eine Demokratie zu sichern, die keine ist, plausibel findet. Auch die Debatten um kriegerische Einsätze haben ihre Stereotypen: der Dank an die Soldaten, das Herauspräparieren der Gegner als international bedrohlich, der eigenen Rolle als unblutig und klinisch, der »Alternativlosigkeit« von Einsätzen, die sich gegen pazifistische Blütenträume als Gebot der Stunde behaupten. Ihr Unwort muss Merkel geistesabwesend verwendet haben, da es so vieles von dem beschreibt, was parlamentarischer Alltag ist: »alternativlos«. Manche Entscheidung steht längst fest, ehe die Argumente eintrudeln.
Wolfgang Gehrcke ( DIE LINKE ) stellt einen Gedanken dagegen, den er selbst mit Hannah Arendt hätte belegen können und der gerade in kriegerischen Zeiten das Parlament ehrt, das ihn zu bedenken gibt, nämlich: »Frieden schließt man mit seinen Feinden. Deswegen muss man jetzt auch in Mali die Initiative ergreifen, um mit den Feinden in Verhandlungen zu Lösungen zu kommen.« Und wie kommentiert ein Zwischenrufer von CDU / CSU ? »Dummes Zeug!« Manchmal ist das Parlament das Haus, in dem die Kultur sprunghaft revidiert wird.
Vom Bundesaußenminister ist heute nur Diplomatie zu erwarten, hatte er doch noch am Morgen vor Kameras eine deutsche Unterstützung in Mali, wie sie nun beschlossen werden soll, abgelehnt. Jetzt schließt er stattdessen einen Kampfeinsatz aus, den allerdings niemand gefordert hat, beschwört den Burgfrieden, die hehren Werte Europas, die Einigkeit. Der Feind dagegen zeigt wieder einmal das Potential zur Terror-Hydra: die Stunde der Exekutive hat geschlagen, wir danken den französischen Soldatinnen und Soldaten, und was wir brauchen, ist jede Menge »roadmap«, damit man etwas hat, das man »implementieren« kann.
Da tritt Philipp Mißfelder ( CDU / CSU ) skeptischer auf und warnt: »Diejenigen, die jetzt in Mali am Straßenrand den französischen Truppen zujubeln, werden vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt dieselben Soldaten als Besatzer empfinden.« In der Tat. Auch dies wäre dann eine Parallele zu Afghanistan, die von fast jedem Redenden gezogen wird und die der Debatte bisweilen Schärfe nimmt, aber auch den Weg vorzeichnet, auf dem dieses Thema einmal der Vergessenheit übergeben werden wird. Die meisten Sprecher bleiben wieder nur für die Dauer ihres Beitrags. Dann gehen sie, weil ihnen die Position des Gegners nicht unbekannt oder nicht wichtig ist. Wird ihnen vom Pult aus geantwortet, haben sie den Raum meist schon verlassen.
Und wir auf den Tribünen? Krieg und Frieden, Naturerhaltung und Zerstörung, Fragen der Gesundheit und des Sterbens sind in Stunden durch den Raum passiert. Wir waren die Gaffer, die da unten die Akteure. In unseren Gesichtern hatten unsere Vertreter heute nichts gesucht, und sie hätten wenig gefunden. Denn wer wollte dem Verlauf der Argumente folgen, die oft niemand versteht und die so viel Vorwissen voraussetzen? Wir kennen die Abkürzungen so wenig wie die Vorgeschichten. Also stehen wir uns als Demonstranten gegenüber? Parlamentarier demonstrieren den Staat, das Publikum demonstriert seine Staatsverdrossenheit. Beide agieren rund um eine leere Mitte. Die Welt gestalten? »Ja, bitte«, findet eine Schülerin. »Aber so?«
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt schließt die Aussprache: »Genießen Sie den restlichen Abend und die gewonnenen Einsichten.« Es ist halb sechs. Ich nehme den ICE nach Hamburg. Auf dem Bahnsteig begegnet mir Martin Lindner ( FDP ) wieder. Er ist in Begleitung, das gegelte Haar schillert. Heute hat er einmal »Quatsch« reingerufen, einmal »albern«. Das war’s. Gestern hat er gesagt: »Es gibt in Deutschland eine Zunahme an Armutsberichten, aber keine Zunahme an Armut.« Der Gedanke gefiel ihm so gut, dass er ihn sogar wiederholte. In einem ICE begegnet Herr Lindner der Armut nicht. Aber als ich auf dem Bahnsteig sehe, wie sich ihm die Verkäuferin des Obdachlosenmagazins »Straßenfeger« nähert, ist mir die Situation schon zu plakativ, denn ich weiß, was folgen wird: die abwehrende Geste, die sich abwendende Person. Hier wenigstens fielen Reden und
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