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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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inne, als ob sich gleich etwas entscheiden könne. Einmal sagt Antje Tillmann ( CDU / CSU ): »In sitzungsfreien Wochen bin ich viel in Schulen unterwegs und diskutiere mit Schülerinnen und Schülern über Punkte, über die wir auch im Parlament diskutieren. Zu Recht legen die Lehrerinnen und Lehrer Wert darauf, dass ich auch die Argumente der Opposition parteineutral darstelle. Das fällt mir in der Regel gar nicht schwer, weil ich durchaus auch an Argumenten der Oppositionsparteien etwas finde und nicht jedes Mal zu dem Eindruck komme, dass das, was Sie diskutieren, völlig absurd ist.« Und alle merken auf, auch auf der Tribüne, warten auf das »Aber« und erreichen den Zenit der Aufmerksamkeit, wo es ausbleibt.  
    Es folgt eine Anfrage zum »Einspeisesystem« des Atomkraftwerks Grundremmingen. In Vertretung des Ministers liest Staatssekretärin Katharina Reiche ( CDU ) ihre hochbürokratischen Antworten vom Blatt. Niemand scheint sie zu verstehen. Die Paragraphen donnern vorbei. Reiche liest lange, überzieht die Zeit, wirft das »politische Momentum« in die Waagschale, ist irgendwo im »engen Kontakt« oder sagt Dinge wie »der Minister ist auf internationaler Ebene initiativ«. Die Unzufriedenheit der Fragenden beantwortet sie patzig. Worum es gehe? »Es geht darum, dass Sie mir offenbar nicht zuhören«, oder: »auch Sie werden den Unterschied noch hinkriegen«, oder: »ich kann antworten, wie ich es für richtig halte«, oder auch: »der Inhalt dieser Frage war nicht Gegenstand der schriftlich eingereichten Frage. Insofern müsste ich sie gar nicht beantworten«.
    Fragen werden gestellt, damit die Regierung Aufschluss gibt. Zieht sich die Regierung bei Bedarf aber darauf zurück, man wolle »informell« herauskriegen, was Staaten energiepolitisch bewege, dann erübrigen sich alle Fragen. Nur schlecht, dass der Minister schon öffentlich vom »Club der Energiewendestaaten« gesprochen hat, eine plötzlich fragliche, unbestätigte Größe. Immerhin, Tonga ist dabei! »Eine solche Idee braucht Zeit«, sagt Reiche, eine Zeit, die man sich nicht für die Ankündigung, nur für die Verwirklichung lässt.
    »Ich habe deutlich gemacht«, fährt sie also fort und biegt in die nächste Wiederholung ab. Man tritt einen Schritt zurück und erschrickt: Es geht um das Weltklima, also schließlich um den Fortbestand der Erde, und was man hört, ist eine in Formeln erstarrte, von Bürokratismen überwucherte Rhetorik, in der sich alle Dringlichkeit neutralisiert. In zwei Formen verwirklicht sich die Arbeit des Parlaments: im Reden und im Handeln. Das eine wird durch das andere permanent in Frage gestellt, oder es wird eine Einheit beider simuliert. Gespenstisch aber wird die Parlamentsarbeit immer dort, wo sich das Reden vor das Handeln schiebt und es regelrecht unmöglich macht.
    Die kollektive Bewegung tendiert gerade weiter ins Dezentrale: Alle sind bei ihren Displays, manche verlassen den Saal, kommen wieder. Die Objektive der Kameraleute schweifen suchend über das Plenum, senken sich. Manche Parlamentarier ziehen sogar eine Zeitung hervor. Plötzlich ist das im Saal, was man wohl den parlamentarischen Alltag nennt, Schwere lastet auf dem Haus. Die Kuppel ist jetzt eine Glocke, unter der sich Begriffe stauen wie »Beitrag leisten«, »wir werden prüfen«, »wir befinden uns in Gesprächen« und »Marktanreizprogramm für ökologische Dämmstoffe«.
    Das Abstraktionsniveau wird gehalten, doch geschieht es, wie um die Ferne vom Leben zu gewährleisten. Wer jetzt den Saal beträte, müsste wirklich glauben: Die sprechen unsere Sprache nicht, sondern eine Diktion, in der die Realität, wenn sie sich denn einstellen sollte, gleich zum Aktenvermerk konvertieren müsste. Insofern ist dies eine echte »Anhörung«: Man hört sich das an, eine echte »Fragestunde«: Man fragt ja bloß.
    Wenig später wird es noch einmal um die aktuelle Situation in Mali gehen. Guido Westerwelle und Thomas de Maizière adeln das Thema durch ihre Präsenz und erleben lauter Redner, die inzwischen zu Experten der Sahara und ihrer Volksstämme geworden sind. Das kommt abrupt und erstaunt mich, auch weil, als ich vor zwanzig Jahren selbst Timbuktu besuchte, dort schon ein Krieg mit einem verwandten Bedrohungspotential und einer Ausstrahlung bis Mauretanien und Algerien geführt wurde, ohne dass Europa viel mehr in der Stadt hinterlassen hätte als eine Bronzetafel zum Gedenken an einen Besuch von Heinrich Lübke. Heute dagegen wird zwar

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