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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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Handeln zusammen.

Donnerstag, 31 . Januar, 9  Uhr
    Der Abgeordnetenparkplatz liegt fast leer da. Es ist noch Zeit, sich ein Detail des Reichstagsbaus anzusehen. Zu dem, was von der alten Substanz erhalten blieb, gehören auch jene Inschriften, die 1945 von russischen Rotarmisten an den Wänden hinterlassen worden waren und die über vierzig Jahre lang jede bauliche Erneuerung überlebten. Auch diese sind Geschichte, reflektieren Heimweh und Hass, Sentimentalität, Triumph und Gesinnung derer, die beim Sturm des damals bedeutungslosen Gebäudes glaubten, ein Symbol besetzt zu haben. Unter den oft kyrillisch geschriebenen Inschriften sind viele banal, bloße graphische Existenzbeweise, doch finden sich auch ein paar vulgäre oder sonst verächtliche darunter. Man hat diese Inschriften erhalten und nur auf ausdrücklichen Wunsch der russischen Botschaft einige wenige entfernt, die mehr über die Soldaten sagten als über die Besiegten. Man nimmt es genau. Was, wenn man dem Deutschen Bundestag vorwerfen würde, Geschichtsklitterung in seinen Mauern zu dulden? Gegen den heftigen Widerstand der CSU , die die Graffiti gänzlich gelöscht wünschte, entschied man sich für die Erhaltung und eine akribische Dokumentation.
    Es hat symbolischen Wert, im Reichstag so auch eine Art Denkmal des unbekannten Soldaten zu erhalten, der von seiner Regierung in einen Krieg geschickt wird, ohne die reale Gefahr oder den Sinn seiner Unternehmung immer beurteilen zu können. Eine Generation später wird die Sowjetregierung junge Soldaten nach Afghanistan schicken. Viele von ihnen werden verletzt, drogenabhängig, sterben, und noch heute flattert auf zahllosen Gräbern in Afghanistan ein grünes Tuch für jeden einheimischen »Märtyrer«, der einen Russen tötete.
    Der heutige Sitzungstag beginnt mit einer Verlängerung der »Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan«. Schon der Name beschönigt. Vor einem Jahrzehnt hat man sich mit diesem Einsatz noch schwergetan, und die dabei waren, sagen, dass Gerhard Schröder und Joschka Fischer die Entscheidung »durchgepeitscht« hätten. Heute ist dies ein bürokratischer Akt, den man gerne abseits der öffentlichen Aufmerksamkeit verhandeln würde. Er wird kaum mehr von Pathos getragen, eher von der Einsicht in die Notwendigkeit, vom Gefühl, jetzt nicht – wie die Franzosen und andere – aussteigen zu können.
    Honorigerweise denkt Stefan Rebmann ( SPD ) auch an die internationalen Helferinnen und Helfer und die Menschen in Afghanistan. Er sagt auch: »Menschenrechte, Kinderrechte und vor allen Dingen auch Frauenrechte sind für uns nicht verhandelbar.« Gut zu hören, aber in Afghanistan wirft diese Rechte niemand auf den Verhandlungstisch, es gibt nichts für sie einzutauschen, und abgesehen davon trifft der Satz auch dort nicht zu, wo selbst in friedlichen Breiten aus wirtschaftlichen Gründen Menschen-, Frauen- und Kinderrechte schon geopfert werden, wo es bloß um die Senkung der Produktionskosten für unsere Konsumartikel geht – ein Thema, das später noch eine Debatte beschäftigen soll.
    Es wäre allerdings erstaunlich, wenn diese friedliche Diktion nicht rascher Militarisierung weichen müsste. So kündigt Andreas Schockenhoff ( CDU / CSU ) zwar den voraussichtlichen Abzug von 1100 Soldaten aus Afghanistan für Frühjahr 2014 an, er sagt aber auch: »Die Zukunft gehört der Drohnentechnologie. Deshalb halte ich die Anschaffung eines eigenen Systems von Drohnen für die Bundeswehr (…) für richtig und notwendig, und zwar nicht nur Aufklärungs-, sondern auch bewaffnete Drohnen.« Anschließend zitiert er die fatalen Sätze Thomas de Maizières: »Unbemannte, bewaffnete Luftfahrzeuge unterscheiden sich in der Wirkung nicht von bemannten. Immer entscheidet ein Mensch …« Das heißt aber doch, die Wirkung ist in jedem Fall tödlich. Eingesetzt werden bewaffnete Drohnen von den USA längst in Ländern, denen nie der Krieg erklärt wurde. Diese Information fehlt.
    Thomas de Maizière aber wird an diesem Tag zum Thema nicht sprechen. So ist es dem Veteranen Hans-Christian Ströbele ( B   90 / DIE GRÜNEN ) vorbehalten, deutlich zu werden und offene Fragen zu nennen: »Gegen den Willen der deutschen Bevölkerung führt Deutschland Krieg in Afghanistan, und der zuständige Minister leistet keinen Beitrag dazu, die Kriegslage in Afghanistan hier mit einem Bericht darzulegen. Wie viele Tote

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