Das Hohe Haus
gab es seit der letzten Befassung des Deutschen Bundestags im deutschen Bereich in Afghanistan? Wie häufig wurden die Kampfdrohnen eingesetzt, die im deutschen Gebiet seither stationiert worden sind? Wie geht es weiter? Welche Drohnen werden in Zukunft eingesetzt?« Dass diese Fragen heute gestellt und wieder unbeantwortet bleiben werden, ist beschämend auch angesichts der Tatsache, dass man noch vor einem Jahr auf Diplomatie zu setzen versprach, auf Verhandlungen, die es nicht gab, nicht gibt.
Antwort wird Ströbele keine. Die Zuhörer aber fühlen sich wenigstens auf die Fragen hingewiesen, die sie zu stellen versäumt haben. Die Geschäftsordnung triumphiert auch über die unbeantworteten Fragen zu einem Krieg. Stattdessen folgt rasch die namentliche Abstimmung. Eben war noch von den gefallenen Soldaten die Rede, jetzt moniert der Präsident: »Urnen fehlen«. Der Übergang zum Folgethema ist nahtlos. Denn jetzt referiert Gregor Gysi vor einem weitgehend schweigenden Haus, wie eine Große Koalition aus buchstäblich allen übrigen Parteien im Jahr 2011 »Waffenexporte in 125 Länder im Gesamtwert von 10 , 8 Milliarden Euro« genehmigt habe.
Die Zahlen bewirken, dass sich die Schüler untereinander vergewissern, ob sie richtig gehört haben: »Im Jahre 2011 gab es bei dem berühmten Bundessicherheitsrat, der ja zu entscheiden hat, ob ein Rüstungsexport genehmigt wird, 17 586 Anträge auf Genehmigung des Exports von Waffen« beziehungsweise Rüstungsgütern. »Von 17 586 Anträgen wurden 105 abgelehnt. Das sind gut 0 , 5 Prozent.« In welchem Verhältnis aber stehen diese Zahlen, denen nicht widersprochen wird, zur Aussage der Bundesregierung, man gehe »äußerst restriktiv« mit Export-Zulassungen um?
Heute steht Deutschland bei den internationalen Rüstungsexporten an dritter Stelle, und man kann sich von außen kaum vorstellen, wie schlicht die Argumentation ist, die das rechtfertigt. Joachim Pfeiffer ( CDU / CSU ) sagt: »Ich halte dies alles überhaupt nicht für verwerflich. Ganz im Gegenteil: Ich bin stolz auf das, was die 80 000 hochqualifizierten Arbeitskräfte, die in der Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie in Deutschland unmittelbar beschäftigt sind, zustande bringen.« Offenbar kann die Rüstungsindustrie nicht als das benannt werden, was sie ist, sondern sie zieht Beschönigungen an, die sie zur moralischen Feuerwehr stilisieren durch Rennen, Retten, Löschen: »Diese Rüstungsexporte tragen nämlich auch zur Friedenssicherung und zum Schutz der Menschenrechte auf dieser Welt bei.«
Das ist der Pegelstand parlamentarischer Schamlosigkeit: Dass Rüstungsexporte der Erhaltung der Menschenrechte dienen sollen, bestätigt jeden, der dem Parlament Skrupellosigkeit in Rüstungsfragen vorwirft. Gleichzeitig hat die Genehmigung von solchen Exporten nach Saudi-Arabien auch dazu geführt, dass die Bewaffnung der Al-Qaida-nahen Islamisten aus der Sahelzone zu einem wesentlichen Teil mit deutschen Waffen geschieht. Der entlarvenden Debatte, die mit unverhohlen heuchlerischen Argumenten geführt wird, stellt sich auch heute kein Mitglied der Bundesregierung. Den Rest des Schweigens sichern Geheimhaltungsauflagen.
Für die FDP tritt Martin Lindner so vehement für Rüstungsexporte ein, dass einem Abgeordneten der Opposition ein »Unfassbar!« entfährt, worauf Lindner erwidert: »Wenn der Maßstab der politischen Debatte wäre, was Sie fassen können, dann bräuchten wir gar nicht weiter zu diskutieren.« Wenig später resümiert Jan van Aken ( DIE LINKE ): »Ganz praktisch heißt das, dass da draußen Menschen sterben, weil Sie sich weigern, Waffenexporte zu verbieten. So einfach ist das, und so brutal ist das.« Und Martin Lindner ruft: »So einfach ist die Welt von Herrn van Aken!« Bevor alle Dämme brechen, warnt Philipp Mißfelder ( CDU / CSU ) vielsagend: »Wir sollten nicht sensibelste Punkte der deutschen Außenpolitik zum Gegenstand parteipolitischer Auseinandersetzung machen.« Er sagt nicht »Wirtschafts-«, sondern »Außenpolitik« und meint die hässliche Seite der Diplomatie?
Verfolgt zu haben, wie fünf der sechs Parteien im Deutschen Bundestag Rüstungsexporte selbst in den Nahen Osten und nach Pakistan verteidigen, sich auf humanitäre Absichten, realpolitische Zwänge oder Arbeitsplätze herausreden, und wie sie sich in den einzigen glaubwürdigen Gegner dieser Politik verbeißen, mit welcher Empathielosigkeit dies geschieht, das wird auch noch ein Jahr später ein
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