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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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traditionellen Familienverständnisses festzuhalten: »Ich halte es aber für besser – aus dem Blickwinkel des Kindes betrachtet –, wenn ein Kind nicht zwei Männer oder zwei Frauen, sondern einen Vater und eine Mutter als Eltern hat.«
    In den Extremen stehen sich also zwei Lager gegenüber: jene, die am Ende eines langen Prozesses die Gleichstellung als eine aufklärerische Errungenschaft feiern, gegen jene, deren christliches Weltbild sich gegen die neue Lösung sperrt. Als ein solcher spricht Norbert Geis ( CDU / CSU ) jene Sätze, für die er in den nächsten Tagen viel Spott ernten wird: »Wir halten fest daran, dass die Ehe privilegiert ist. Da kann das Verfassungsgericht nicht kommen und den Versuch unternehmen – Sie auch nicht –, mithilfe der Rechtsprechung die Verfassung zu ändern. Sie wollen die Verfassung ändern. Da können Sie noch so laut rufen; das ist der Sachverhalt. Sie können ruhig laut reden; ich werde es noch lauter sagen: Gegen diesen Sachverhalt wehren wir uns. Wir sind der Auffassung, dass wir an der Privilegierung der Ehe festhalten müssen.« Um schließlich mit der Unterstellung zu enden, dass auch »Eltern, die ihr Kind zur Adoption freigeben, natürlich wollen, dass das Kind in einer vernünftigen Gemeinschaft lebt, nämlich bei Vater und Mutter und nicht bei ›Papa, Papa‹ oder ›Mama, Mama‹«.
    Das Plenum zeigt sich empört, die Kabarettisten haben Material, die Gegner sagen, Geis mache es für junge Menschen schwierig, zu ihrer Neigung zu stehen, doch Christel Humme ( SPD ) resümiert schlicht, stilvoll und lakonisch, indem sie ihre Rede mit den Worten beginnt: »Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Lieber Herr Geis, es nützt nichts.«
    Ja, es nützt nichts. Trotzdem scheint mir dieser Veteran, der gerade eine seiner letzten Reden im Hohen Haus hielt, respektabel, steht er doch mit der ganzen Person für ein Weltbild ein, das er nicht einfach verraten kann, und dieses Weltbild ist in der traditionellen Ehe zentriert. Christdemokrat zu sein, das hieß doch immer auch, gewisse Dinge aus der Befragbarkeit herauszunehmen und auch dieses Thema zu behandeln, als sei mit der Entscheidung für die CDU die gegen die Homo-Ehe schon gefallen. Andere plädieren, dem Volk, der Wählerschaft, dem Parlament gegenüber diese Position aufzugeben, sie ist nicht zu halten. Doch eine solche Option bietet sich Geis nicht. Er hat keinen Spielraum für Kompromisse, und so blitzt in seinem ehrenhaften Starrsinn auch etwas von der vielgesuchten »Glaubwürdigkeit« des Parlamentariers auf.
    Wenig später werde ich mit Geis zufällig im Aufzug stehen, in seiner Begleitung eine junge Frau, der er das Parlament erklärt, seine Umgangsformen von ausgesuchter Höflichkeit, die Konversation zugewandt und voller Liebenswürdigkeit, sein Habitus der des Gentlemans, der sich nicht anmerken lässt, dass er gerade im Feuer steht. Als der Aufzug hält, ist es der jungen Frau und mir unmöglich, nach Geis ins Freie zu treten. Er besteht darauf, uns den Vortritt zu lassen – die flüchtige Begegnung mit einem Typus, dessen Verschwinden das Parlament nicht bereichert.

Donnerstag, 28 . Februar, 9  Uhr
    Heute ist die Stimmung hitzig, ein stickiger Dunst sammelt sich unter der Kuppel. Die Debatten arbeiten sich an Fragen ab, die wieder und wieder besprochen worden sind. Es gibt wenige neue Argumente zur Unterstützung Frankreichs in Mali, zum Mindestlohn, zum Wohnungsbau. Die Regierung schützt die Investoren, die Opposition die Mieter. Die SPD forciert den Mindestlohn, die Linke reklamiert das Copyright dafür. Als habe man sich aufgerieben, setzt man den abgetretenen Argumenten eine erhöhte Dosis an Beleidigung zu. In kürzester Zeit hat man sich des Unwissens, der Dummheit, der Dreistigkeit, der Schönfärberei, der Täuschung, der Lüge, der Verlogenheit, des Unsinns, des Umfallens, der Heuchelei, des Populismus, der ideologischen Borniertheit, des schlechten Charakters bezichtigt, und dabei sind nicht mal Stunden vergangen.
    Es macht müde und kommt über den Saal wie Musikberieselung. Heute erscheint mir der Raum ein wenig antikisch. Zwölf Säulen akzentuieren ihn, der durch sie und die Kuppel etwas von einem Rundtempel hat und deshalb noch von fern an die Agora erinnert, die Mutter des Hickhacks. Manchmal wirkt es, als sei die Tagespolitik dazu da, von den Jahrhundert-Veränderungen abzulenken, von all den schleichenden großen Prozessen der Umwälzung unserer Lebensbedingungen,

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