Das Hohe Haus
leiseren Töne der Debatte, auch die Konzentration im Plenum, mit einem unterschwelligen Eingeständnis von Mitschuld zu tun haben. Früher hatte man gestritten, was ein Ghetto überhaupt sei, wann man in diesem Zusammenhang von »freiwilliger Arbeit« sprechen könne. Man war zu keiner Lösung gekommen, »wegen der Schlampigkeit des Gesetzgebers, wofür wir natürlich die Verantwortung tragen«, sagt Anton Schaaf ( SPD ) in einem seltenen Akt parlamentarischer Selbstkritik.
Volker Beck ( B 90 / DIE GRÜNEN ) schließlich bittet inständig: »Wir haben doch keine Zeit mehr. Wollen wir jetzt wirklich noch einmal anderthalb Jahre darüber reden, dass immer nur die Erben der Rentenbezugsberechtigten die Rente bekommen? Ich möchte, dass die Menschen, die damals in den Ghettos unter der deutschen Gewaltherrschaft gelitten haben, etwas von diesem Geld haben. Es sind ohnehin geringe Beträge, die ausbezahlt werden. Deshalb bitte ich Sie inständig: Sagen Sie uns, wann Sie einen Vorschlag vorlegen, der aufzeigt, über welchen Lösungsweg man zu einem Ergebnis kommen kann.«
Nicht oft klingen Reden im Bundestag aufrichtig überzeugt, wirklich verzweifelt, kompromisslos drängend oder gar radikal. Hier tut es die von Beck, aber der Regierungsvertreter erläutert als Antwort einen Konflikt zwischen der »entschädigungsrechtlichen« und der »rentenrechtlichen Lösung«. Die Gemengelage ist diffus: das Parlament im Modus der Selbstbezichtigung, die Regierung offenbar verlangsamt, die Bürokratie grotesk, dazu eine Gruppe Gutwilliger, eine Gruppe Engagierter und eine Gruppe alter Opfer des Nationalsozialismus, die ihre gerechte Entschädigung nicht mehr erleben werden, weil das biologische Leben weniger Atem hat als die Bürokratie. Der Fall wird wiederkehren.
Auch in der zweiten großen Debatte des Tages treten Gewissen, Weltanschauung und Überzeugung in ein eigenes Mischungsverhältnis. Es ist eine Frage, in der sich die Zeit erneuert, eine historische Wegmarke also, an der sich das Parlament nicht alle Tage befindet: Die Frage der »vollständigen Gleichstellung von Lebenspartnerschaft und Ehe« drängt, nachdem ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts das Parlament implizit der Diskriminierung bezichtigte.
Nun muss man nacharbeiten, die Positionen sind vielfältiger, als das Unisono des Fraktionszwangs es suggeriert. Noch dazu hatte sich die Kanzlerin noch unlängst dagegen ausgesprochen, dass »die Privilegierung der Ehe auf die homosexuellen Partnerschaften ausgeweitet« werde, und auch bei der namentlichen Abstimmung hatten die Abgeordneten der FDP geschlossen und 219 Abgeordnete von CDU / CSU mit Nein gestimmt. Doch so viel konservativer Rigorismus ist mit dem Gesetz nicht vereinbar. So erlebt man die Regierung in der windigen Situation der Selbstverleugnung, die Opposition im Triumph über den moralischen Fortschritt und Erika Steinbach ( CDU / CSU ) mit einem unparlamentarischen Angriff auf eines der obersten Organe des Staates, als sie twitterte: »Wer schützt eigentlich unsere Verfassung vor Verfassungsrichtern?« Und Horst Seehofer stellt sich mit der Aussage, die CSU bleibe bei ihrer Linie, »wie auch immer die Richter entscheiden«, gleich über das Gesetz.
Nein, es wird keine Demonstrationen gegen dieses Gesetz geben wie in Frankreich und Ungarn. In Deutschland sind 74 Prozent der Bevölkerung und 64 Prozent der Unionswähler für die Gleichstellung. Doch während man andere Entscheidungen leichter revidieren kann, wird sich diese als unumkehrbar erweisen. Auch das ist unüblich im Bundestag: Man wird erleben können, wie die Mehrheit der CDU / CSU alten Überzeugungen abschwört, die Minderheit puristisch am konservativen Gedanken festhält und die Oppositionsparteien den Fortschritt feiern. Sie alle versammeln sich sicherheitshalber um eine unbekannte Größe mit dem Namen »Wohl des Kindes«, über das da bloß gemutmaßt wird.
Zusätzlich verkehren sich in der Debatte ausnahmsweise die Verhältnisse: Die Opposition, vom Gericht ins Recht gesetzt, triumphiert im Bewusstsein der emanzipatorischen Errungenschaft. Die Regierung, in die Defensive gebracht, ordnet den Rückzug, fragt nur noch, ob es zwischen Ehe und homosexuellen Lebenspartnerschaften nicht doch »Anknüpfungspunkte für Differenzierung« gebe, fühlt sich »in beispielloser Weise attackiert«, beklagt »das Gegenteil einer demokratischen Diskussionskultur«, um in den Worten Günter Krings’ ( CDU / CSU ) den letzten Zipfel
Weitere Kostenlose Bücher