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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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die man geschehen lässt, während man an den kleinen Dingen arbeitet. Wäre es anders, mit der »Zukunft« könnte man kaum Wahlkämpfe führen.
    Die Reihen sind gerade dünn besetzt. Man stellt sich immer vor, das Parlament nähme an allem teil, es sei so etwas wie der geballte gesunde Menschenverstand. In der Annäherung merkt man, es sitzen meist die Fachleute der Fraktionen zusammen. Sie kommen aus den Ausschüssen, hauen sich das dort Gesagte effekthascherisch noch einmal um die Ohren und verlassen, kaum ist die Simulation einer entscheidenden Debatte vorbei, den Raum. Wenige Beschlüsse werden im ganzen Plenum getroffen, wenige Abgeordnete befinden sich auf dem Informationsniveau der Fachgruppen, wenige treten als Universalisten auf und können eine Vielzahl von Themen gleichermaßen bearbeiten.
    Ich setze mich außen vor dem Plenarsaal auf eine Bank und schaue der Garderobenfrau zu, die die Flaggen auf einem Faltblatt auswendig lernt. Ich erlebe das Parlament ja im Zustand dessen, was aus ihm geworden ist. Die immer dort arbeiten, haben die leise Verschiebung ins Rabiate vielleicht gar nicht bemerkt. Aber der Mensch, der jetzt eintritt und sich ein ganzes Bild machen will, er staunt über das, was die Form und ihre Übertretung aus dem Haus machen konnten.
    Manches ist deshalb nur plausibel als die Reproduktion eines lange vergangenen Rituals – so wie die Saaldiener Schwalbenschwänze tragen, weil das mal feierlich war, wo es heute eher kostümiert wirkt, aus der Zeit gefallen. Denn wir sind in diesem Ikea-Ambiente eben nicht das englische Unterhaus. Wir sind Demokraten ohne Nimbus, und alles andere ist Attrappe. In den Reden bayerischer Abgeordneter zittert immer noch das Erbe von Franz-Josef Strauß nach. Selbst der bajuwarische Yuppie tritt wie ein Kraftmeier auf und möchte donnern – seine Rede aber gibt nur ein Räuspern her. Aus dem Satzbaukasten der Brachialrhetoriker hat man sich die Filetstücke herausgelöst, und nun sagen alle: »Wir dulden nicht …«, »nicht mit uns …« Es ist, als wollte jeder das Zola’sche »J’accuse« noch einmal sagen, auf den Barrikaden stehen, aber dafür keinen Strafzettel bekommen.
    Politiker wirken in Talkshows auch deshalb oft unaufrichtig, weil sie sich im Argumentationsmodus der Ausschüsse und des Parlaments so aufgerieben haben. Irgendwann einmal sind sie vielleicht so enttäuscht worden davon, Überzeugungen instrumentalisiert zu finden, dass sie sich ein strategisches Verhältnis zum Argument angeeignet haben. Der Politiker, der sagt, ich wollte Wirklichkeit gestalten und habe die Erhöhung der »Heimwehpauschale« durchgesetzt – er wurde vielleicht zuletzt von drei Leuten beklatscht. Ist es nicht auch heroisch, so zu leben?
    Auf der anderen Seite besitzen Politiker häufig die Eitelkeit jener, die sich nicht gewählt, sondern auserwählt fühlen und mit der großen Geste des »Wir gestalten das Land« auftreten. Sie genießen die Freuden der Verantwortung, die Autos, die Saaldiener, die Passierscheine, die Garderobenfrauen, die Reden im Wahlkreis, wo sie namentlich begrüßt werden, die Dinner, die Beschäftigung der Außenwelt mit dem, was an ihnen hintergründig sein soll oder privatmenschlich. Als Thomas de Maizière nach den Grenzen seiner Disziplin gefragt wurde, sagte er: Beim »Mensch ärgere dich nicht« lasse er auch schon mal »die Sau raus«. Man muss den, der das sagt, mit dem identifizieren, der Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien verteidigt. Die Entscheidungen sind fatal, die Entscheidungsträger trotzdem banal.
    Ich blicke auf die Glaswand, die die oberste Ebene des Plenarsaals von den wartenden Schulklassen und Senioren, den Garderobenfrauen, Sicherheitsbeamten und Parlamentsdienern trennt, und denke ohne Ergebnis über einen Satz des chinesischen Weisen Laotse nach: »Der Mensch kann nur unter einer nicht aktiven Politik glücklich sein.« Glücklich wäre er vielleicht unter einer Politik der Notwehr, die nicht vor allem den Kampf um die Herrschaft organisierte.
    Als ich in den Saal zurückkehre, nimmt es Ulrich Lange ( CDU / CSU ) gerade mit der Privatisierung des Wassers auf. Ich höre »Deckmantel«, ich höre »besonderes Lebensmittel«, ich höre höhnischen Applaus, kann den Redner nicht immer verstehen, der Zwischenrufe wegen. Er sagt »Rekommunalisierung«, sagt, nein, er gestatte keine Zwischenfrage. »Unser Wasser ist auch regionale Wertschöpfung«, sagt er und fährt mit einem »kleinen Exkurs zur Bayerischen

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