Das Hohe Haus
Parlament nicht wieder, erklärt aber einen geradezu künstlerischen Widerspruch: Auf den Gängen, in den Sälen, Lounges und Restaurants der parlamentarischen Bauten und des Reichstags ist eine vorzüglich kuratierte Sammlung deutscher Gegenwartskunst zu finden, im Parlament aber kommt die Kultur kaum vor oder in der Diktion von Dagmar Wöhrl: »Das bedeutet für unser rohstoffarmes Land, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft eine der wichtigsten Zukunftsressourcen in unserem Land ist. Das heißt aber auch für uns, dass wir als Union kompromisslos davon überzeugt sind, dass wir in die Kulturschaffenden investieren müssen, um so Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft auch in Zukunft zu erhalten.« In diesem Zusammenhang propagiert sie auch eine Stärkung des Kunsthandwerks.
Auch hier wird deutlich: Die Frage der Zukunft ist synonym für Rendite. Flankiert von einer Ökonomisierung aller Lebensbereiche, gibt der Zustand der Wirtschaft die Idee dessen vor, was Zukunft ist. Ja, selbst auf kulturellem Gebiet setzt man auf Wachstum und Gewinnmaximierung. Warum nicht auf Beständigkeit oder Vergangenheit? Die parlamentarische Kultur ist nun einmal strukturell konservativ, also am Fortbestand bestehender Strukturen interessiert.
Der nächste Regierungsvertreter stellt dann, wie er selbst sagt, »mit großer Überzeugung fest«, der Deutsche Bundestag bekenne sich »über alle Fraktionsgrenzen hinweg zu den Kreativen unseres Landes«. So weit, so gratis. Man stelle sich das Gegenteil vor: Der Deutsche Bundestag distanziert sich über alle Fraktionsgrenzen hinweg von den Kreativen des Landes. Aber ökonomisch hat Petra Sitte ( DIE LINKE ) recht mit dem Hinweis: »Der Mehrzahl der Kreativarbeiterinnen und -arbeiter fehlt massiv soziale Absicherung.«
Die Stimmung wird zickig, die Terminologie verleugnet jede Nähe zum Kulturellen. Rita Pawelski ( CDU / CSU ) fleht sogar: »Zertreten Sie doch nicht das Gesicht, das Sie selber geschaffen haben!« Allerdings hat auch die Sozialdemokratie in den letzten Jahrzehnten nicht eben durch ihr kulturelles Interesse auf sich aufmerksam gemacht. Wolfgang Börnsen ( CDU / CSU ) bestätigt es durch den süffisanten Hinweis, dass »Herr Kollege Steinmeier« den Kulturausschuss in den vergangenen dreieinhalb Jahren keinmal beehrte, so wie auch der »Kollege Peer Steinbrück« dem Kulturausschuss zwar offiziell angehöre, aber an keiner »der bisherigen achtzig Sitzungen seiner parlamentarischen Verantwortung gerecht werden« konnte.
Ich gehe, setze mich unten in den Lichthof Nord, wo die Köche immer rauchen, versammelt um Hans Haackes ehemals heftig umstrittene Installation. Alle Abgeordneten bringen aus ihren Wahlkreisen Erde hierher, um sie in das Biotop rund um den Schriftzug »Der Bevölkerung« zu schütten. Dieses darf nicht beschnitten, gemäht oder künstlich verändert werden. Die Flora überwuchert »Die Bevölkerung«, die sich hier dem einzigen Gesetz unterwerfen muss, das bleibt: dem Naturgesetz.
Mittwoch, 27 . Februar, 13 Uhr
Am Vortag war der neue US -Außenminister John Kerry zum Antrittsbesuch in Berlin. Der Film über Natascha Kampusch kommt in die Kinos. Stéphane Hessel ist tot. Steinbrück bezeichnet die italienischen Wahlsieger Beppe Grillo und Silvio Berlusconi als »Clowns«. Der nächste Massentierhaltungs-Skandal zeichnet sich ab. Michelle Obama ist bei der Oscar-Verleihung aufgetreten.
Wartungsarbeiten machen einen Besuch der Kuppel gerade unmöglich. Ganz still liegt der Saal, manchmal klappt eine Tür, die Besucher hinter den Glastüren warten auf Einlass. Noch tuscheln die Schriftführerinnen. Ein Schwall Gelächter kommt zur Außentür herein, Kameraleute justieren ihre Geräte, das Rotlicht leuchtet schon. Die erste Schulklasse sammelt sich auf Empore 2 . Neben mir kommen in bunten Pullovern die Senioren in den Saal.
Die heutige Tagesordnung ist kurz. Erst die halbstündige Regierungsbefragung zu aktuellen Themen. Dann die Aktuelle Stunde zum Thema »Haltung der Bundesregierung zur vollständigen Gleichstellung von Lebenspartnerschaften und Ehe«. Ein paar Lebensfragen weiter, nach 16 Uhr, sollte Schluss sein. Oben geben die Saalordner noch Anweisungen, das Plenum bleibt leer. Die Ruhe der Besucher ist jetzt wie die vor dem Gottesdienst. Noch neun Minuten. Die Saaldiener stehen mit verschränkten Armen. Auf der Regierungsbank stellen sich ein paar Staatssekretäre ein. Die Senioren sitzen vorgebeugt, die Teenager lehnen sich zurück.
Ein
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