Das Hohe Haus
Rieswasserversorgung« fort. Er attackiert, höhnt, ermuntert die Opposition, die ihm ironisch applaudiert: »Sie können gleich weiter klatschen.« Heute ist das Parlament geradezu stürmisch. Es ist wie ein Organismus, der zum Leben erweckt wird. Dann kehrt der Redner breitbeinig an seinen Platz zurück mit dem stolzen Lächeln des Mannes, der seine Bedeutung am Widerspruch misst.
Auch wo sie sich selbst nicht so wichtig nimmt, wird die Rede vor dem Parlament so bedeutend gefunden, dass jedes Wort, jeder Zwischenruf protokolliert wird, ja, selbst wer geklatscht hat und ob er es allein tat in seiner Partei, wird von Protokollanten verzeichnet. Nie war die Parteizugehörigkeit eines Klatschens so wichtig wie im Parlament. Nur hier wird er aktenkundig, der einsame Klatscher in der Wüste.
Kristina Schröder im schneeweißen Blazer zeichnet Schriftstücke ab, während der SPD -Redner am Pult mit gesenktem Kopf seinen monoton empörten Text abliest. Gerade hört man »Unsinn«, dann »Chaos in der Merkel-Truppe«, dann stürzt die Rede, wie vom Fatalismus gefällt, in sich zusammen. Der Zuschauerzustrom ist heute so groß, dass die Pressetribünen für das Publikum geöffnet werden. Frau Schröder sinkt über ihrer Strafarbeit immer tiefer zusammen. Ströbele schleicht durch die hinteren Reihen wie der antike Seher Teiresias, ein Wiedergänger des Gewissens.
Die Rede von Staatssekretär Otto muss sich nun gegen die Wogen des Widerstands durchsetzen. Kristina Schröder kratzt sich am Scheitel, das Grundrauschen bleibt. Auf amüsierte Weise reizbar sind wir heute. »Aaahhh«, ruft eine Frauenstimme wegwerfend, höhnisch. Hans-Joachim Otto erwidert: »Ach, schreien Sie doch nicht, Frau Haßelmann; das ist uncharmant, das gefällt keinem.« Das ist die moderate Ausbaustufe des Zwischenrufs, den sich Helmut Schmidt 1966 erlaubte, als er eine Abgeordnete mit dem Satz bedachte: »Ich weiß zwar, dass die Frau Kollegin weiblichen Geschlechts ist. Aber man vergisst das manchmal, wenn man ihr zuhört.« Und damals hatte der Vizepräsident Carlo Schmid erwidert: »Herr Abgeordneter, diese Bemerkung war unziemlich.« Im Zwischenruf steckt ein anarchisches Potential, das vom Parlament sonst nicht mehr repräsentiert wird: der Gedanke, man könne, überwältigt von Gefühlen, von der nicht auszuhaltenden Spannung hingerissen sein und spontan etwas beitragen müssen. Tatsächlich aber ist der Zwischenruf häufig wie das Fluchen des Autofahrers, wie die Schiedsrichterbeleidigung vom Spielfeldrand.
Das Plenum ist nun sehr voll, entsprechend schwillt der Lärm der Stimmen an. Selbst mit Mikrophon setzen sich die Redner kaum mehr durch. Sie erhalten keinen Widerspruch, bloß Missbilligung, und diese ist überzeugender als die Empörung in der Sache Wasserversorgung. Man hört nur die Akkorde auf der Klaviatur des Widerspruchs: »Sie verstehen es nicht.« »Sie haben es nicht gemacht, als Sie es machen konnten.« »Sie haben geschlafen.« »Sie blockieren es im Bundesrat.« »Sie machen es in den Ländern anders.« »Sie können es nicht.« »Sie machen es aus taktischen Gründen.« »Es ist bloß Wahlkampf.« »Sie sind populistisch.« »Sie haben Ihre Hausaufgaben nicht gemacht.« »Sie haben es immer noch nicht verstanden.«
Redundant auch die Nennung der Gremien, die die Durchsetzung der vermeintlich richtigen Position vereitelten: die Länder, der Bund, die Kommunen, das Europäische Parlament, die Nachbarn, die Verbündeten, der Arbeitsmarkt, die Gerichte, die Verbände, die Wähler … Redundant die Selbstbehauptung: »Wir sind auf einem guten Weg«, »Wir haben die Rahmenbedingungen geschaffen«, »Gestaltungsspielraum eröffnet«, »Chancen verbessert«, »haben unsere Hausaufgaben gemacht«, »Verantwortung übernommen«, »gestaltet«, mit einem Wort: »Es waren vier gute Jahre für Deutschland!« Die beiden Anträge mit dem Titel »keine Privatisierung des Wassers« klingen wie das Vernünftigste von der Welt – beide werden abgelehnt. Die falsche Fraktion hat sie eingebracht.
Und dann die Gegenwelt, das Ideal, das einmal kurz aufscheint, wo es die Voraussetzungen erlauben. Entschieden wird über den gemeinsamen Gesetzentwurf von CDU / CSU , SPD , FDP und B 90 / DIE GRÜNEN zur schnelleren Rückholung radioaktiver Abfälle und der Stilllegung der Schachtanlage Asse II . Hier ist alles anders. Die Parlamentarische Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser dankt erst mal ausführlich den Mitwirkenden des Ausschusses,
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