Das Hohe Haus
habe mich aber nicht erkannt. Doch wurde geworben und gestritten um mich.
Die mediale Wirkung des Streits innerhalb der Partei ist unverhältnismäßig. Sie verrät eine Müdigkeit vor dem, was das Politische ist an der Politik und eben nicht das Psychologische, Dramatische, Literarische. Mag sein, all das ist Politik auch, aber im Kern verrät doch die »mangelnde Geschlossenheit« einer Fraktion oder einer Partei die Lebendigkeit des parlamentarischen Gedankens. Dieser basiert schließlich auf der Kontrolle der Regierung durch das Parlament, also auf einer Vielfalt der Gewissensentscheidungen.
Politiker klagen gerne über Medien, die aus jedem Dissens ein Politikum machen. Kaum aber zeigt sich in der Front der politischen Gegner ein Widerspruch, sind sie selbst die Ersten, die »mangelnde Geschlossenheit« zum Argument erklären. Es ist keines. Die guten Stunden des Parlaments hingen immer mit der Ausdifferenzierung von Standpunkten, mit echten Kontroversen, Gewissenskonflikten und orchestral arrangierten Argumenten zusammen. Wollte man das Parlament stärken, man müsste ihm mehr von dieser Uneinigkeit einräumen, wenn nicht wünschen. Solange die regierenden Parteien im Parlament ihre Hauptaufgabe aber darin sehen, die von der Regierung eingebrachten Vorschläge gegen Diskussionen zu verteidigen und anschließend durchzuwinken, hat das Parlament keine aktive Kontrollfunktion, und so erübrigt sich oft selbst das Debattieren.
Das parlamentarische Sprechen ist also uneigentlich, wo es so tut, als diene es der Entscheidung. In Wirklichkeit steht das Resultat fest, und es geht mehr um die Schaufensterdekoration. Die Rede aber tut, als mache sie sich auf, Gemeinschaften zu sammeln. Doch hängt von der Überzeugung der Redenden nichts mehr ab. Etwas an diesem parlamentarischen Reden ist ein Schwindel, auf den sich alle geeinigt haben und der mitschuldig ist, wenn Bürger Glaubwürdigkeit zur obersten politischen Tugend, das Lügen zum Kardinallaster des Politikers erklären.
Auf andere und doch gleiche Weise sind die Reden der Opposition ironisch. Ihr Gestus ist rabiat, er zielt auf das Absolute eines anderen Weltverständnisses, seine Malerei ist düster, es umweht ihn immer etwas vom finalen Desaster. Doch weder glaubt sich die Rede selbst, noch glaubt sie an die eigene Wirksamkeit. Oder wann hätte zuletzt eine Oppositionsrede die Standpunkte der Regierung zum Wanken gebracht? Nein, die Parlamentsrede kommt aus einer anderen Zeit – historisch, weil sie erkämpft und geachtet war, als man an die Wirksamkeit des guten Arguments noch glaubte. Heute liegt etwas Verspätetes, Nachgereichtes im parlamentarischen Reden. Es klingt wie die Zusammenfassung von Fortsetzungsromanen: Was bisher geschah …
Inzwischen hat die Aktuelle Stunde begonnen, und das mit dem ansprechenden Satz des schleswig-holsteinischen Wirtschaftsministers Reinhard Meyer: »Ich möchte Ihnen heute den Nord-Ostsee-Kanal ein wenig näherbringen.« Das tut er. Ich sehe Auen, erfahre, dass hier mehr Schiffe passieren als durch den Panama- und den Suezkanal zusammen, dass diese also die am meisten befahrene künstliche Wasserstraße der Welt ist, dass Bayern dank ihrer sechsmal mehr vom Hamburger Hafen profitiere als Schleswig-Holstein, dass Schiffe, die den Nord-Ostsee-Kanal umgehen, einen Umweg von achthundert Kilometern in Kauf nehmen müssen – und dass dies jetzt immer mehr Schiffe tun wegen der Bauverzögerung bei den Schleusen.
Vor meinem inneren Auge erscheint der Schiffe-Stau auf diesem Kanal, der seit mindestens zwanzig Jahren »auf Verschleiß gefahren« wird, und ich schaue nach Verkehrsminister Ramsauer, der eine Brücke wird schlagen müssen zwischen der »nationalen Aufgabe«, Infrastruktur zu gewährleisten, und den Reparaturarbeiten im Schlamm. Den Kanal, sagt der Minister, gibt es seit Ende des 19 . Jahrhunderts, den Minister im Amt aber erst seit dreieinhalb Jahren, und seit zwei Jahrzehnten reihen sich parteiübergreifend Minister, die an dieser Stelle nicht agiert haben.
Dafür kann der jüngste nun berichten, eben sei der Engpass an der Schleuse Brunsbüttel »viel, viel schneller als vorgesehen, nämlich eine Woche früher« beseitigt worden. Anschließend das Vertraute: Der Minister beweist seine Volksnähe, indem er dem Volk sein Volk-Sein dankt: »Ich möchte mich (…) bei den dortigen Handwerkern und bei den Tauchern voller Respekt und auf das Allerherzlichste dafür bedanken, dass sie dort unter schwierigsten,
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