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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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kein Jenseits zu jenen Anträgen und Gesetzesentwürfen, die sich das Parlament selbst vorlegt. Das verhindert nicht, dass die SPD gleichzeitig ein »Papier« vorlegt mit dem Titel »Deutschland besser und gerechter regieren«. Aber CDU -Redner Michelbach nennt ja schon das, »was hier Rot-Rot-Grün« betreibt, »ideologische Bankenhetze«.
    Plötzlich steigt die bleierne Müdigkeit des Parlaments auch auf die Tribüne. Es macht gedanklich so träge, sich aber- und abermals dieselben Argumente vorzutragen, dieselben Posen phallischen Drohens einzunehmen, dieselben Faktenverdrehungen und Persönlichkeitsverletzungen auszuführen wie immer. Wenn die Politiker, die hier streiten, etwas verstehen vom Kämpfen, Unterwerfen, strategisch Auskontern, verstehen sie dann deshalb schon etwas von der Sache? Sind sie überzeugt und überzeugend?
    Ist also die Erschütterung anlässlich der Gedenkstunde zu Fukushima echt, oder tollen hier alle um ein Themenknäuel? Denn was sagt es aus über den Wahrheitsanspruch einer Gedenkrede, wenn ein CDU -Redner den Atomausstieg für seine Partei reklamiert, jene Partei, die noch 2010 den beschlossenen Ausstieg rückgängig machte und die Atomkraftwerkslaufzeiten verlängerte? Wenn mit den Tatsachen keine Gedenkreden zu bestücken sind, dann folge man wenigstens Peter Altmaier, der zum Atomausstieg sagt: »Ich hätte mir an einem Tag wie heute auch gewünscht, dass wir einmal nicht nur polarisieren und polemisieren, sondern anerkennen, welche die demokratischen Parteien übergreifende Kraft diesem Parlament innewohnt, dass es zu solchen richtunggebenden Entscheidungen fähig ist.« Eine »staatsmännische Rede« war auf allen Seiten gefragt. Die Irrmeinung aber, dass Rechthaben der schnellste Zugang zur Wählerstimme sei, führte zu kleinen Reden, aus denen sich das Volk auf der Tribüne schnell verabschiedete, vielleicht weil es erkannte, dass das Parlament zum Gedenken an Fukushima zumindest heute nicht in der Lage war.
    Aber es geht weiter, zum nächsten Problem, zum nächsten Konflikt, zur Not auch makaber. Zu einer Beschlussempfehlung einzelner Abgeordneter und der Fraktion der Linken heißt es auf der Tagesordnung: »Angriffskrieg verfassungs- und völkerrechtskonform unter Strafe stellen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen.« Nach dieser halben Stunde ist auch dieser Antrag abgelehnt.

Mittwoch, 20 . März, 13  Uhr
    Angela Merkel kursiert wieder mit Hitler-Bärtchen in ausländischen Zeitungen. Zypern hofft auf die Rettung durch Russland, die Europäische Zentralbank stellt ein Ultimatum. Das »Dschungelcamp« wird für den Grimme-Preis nominiert. Gegen Ende der Brüderle-Debatte fordert Dirk Niebel eine Debatte über Sexismus gegen Männer. Die FDP hat in Niedersachsen fast zehn Prozent der Zweitstimmen abgezweigt. In Syrien und Ägypten erheben sich die Völker gegen ihre Regierung, in Portugal und Spanien gegen die deutsche, in Indien gegen Vergewaltiger.
    An diesem Mittwochmittag folgt auf die Befragung der Bundesregierung die Fragestunde, die sich immer wieder in den Formalia verheddert. Häufig lässt sich aus den Fragen mehr ableiten als aus den Antworten, handelt es sich doch eher um eine Simulation des Dialogischen. Wer ist Adressat? Die Kameras? Die Tribüne? Der Gegner? Die eigenen Leute? Das Land? Die Gesichter der Schülerinnen und Schüler auf der Tribüne wirken gerade so erloschen und stumpf, wie ich mich fühle. Die Argumentationsgeschwindigkeit ist behäbig. Wir sind brav, wir schauen der Demokratie zu, nein, unser Zuschauen ist Teil der Demokratie oder ihres Entwicklungszustandes.
    Der Blick über die Tribüne verrät auch: Man müsste uns allen das Ich zurückgeben, wir müssten wieder fragen: Wer spricht meine Überzeugungen aus? Wer verkörpert meine Ideen? Soll dies repräsentativ sein, warum stellt sich jeder der Redner zurück, sorgt sich um den Koalitionsfrieden, den Fraktionszwang, die strategische, realpolitische, psychologische Bedeutung der eigenen Wortmeldung? Warum ist der Weg zum Ich gerade beim Wählen so weit? Warum wählen Menschen selten, was laut Wahl-O-Mat ihren Absichten entspräche? Warum lassen sie sich von den eigenen Interessen abspalten, in wessen Dienst, zu welchem Zweck? Es ist wie in einer Erzählung, wo die spontane Frage lautet: Komme ich vor? Heute kam ich vor. Ich war der Bürger, der im Schatten von Windrädern lebt, der Fisch isst, der Neonazis nicht will. Ich kam vor,

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