Das Hohe Haus
»naturstoned«. »Wenn wir in diesem Geist an die Sache herangehen, mit einer frohgemuten Zuversicht, mit dem Unternehmungsgeist, der dem ganzen Deutschen Bundestag zu eigen ist, mit der fröhlichen Gestaltungskraft, die auf die Zukunft vertraut, in einem Geist, der nicht die Probleme problematisiert, sondern sich für Lösungen begeistert (…) dann, Freunde, werden wir Deutschland in eine Zukunft führen, an der wir alle Freude haben werden, auch die Menschen, die gestalten.« Das ist lustig, und so breitet sich über uns ungestalteten, gestaltungsfernen Menschen auf der Tribüne das selbstmitleidige Lächeln von Menschen aus, die offenbar von der Wirkung psychoaktiver Substanzen ausgeschlossen wurden.
Schon eine Debatte weiter, wo es um die soziale Gestaltung der Energiewende geht, sieht die Zukunft unfröhlicher aus, und die Industrie, die eben noch Lust auf Zukunft machte, verdirbt einem gerade die Lust auf Gegenwart. 2 , 8 Milliarden Euro Gewinn machte der Stromkonzern E.ON im vergangenen Jahr. Dafür erhöhte er das Jahresgehalt seines Chefs von 4 , 5 auf 5 , 7 Millionen Euro, entließ massenhaft Beschäftigte, stellte Hunderttausenden im Land den Strom ab, weil sie ihn nicht bezahlen konnten, verlangte vehement nach höheren Strompreisen. Der Abgeordneten Caren Lay ( DIE LINKE ), die all das moniert, entgegnet Thomas Bareiß ( CDU / CSU ) ungewollt deutlich, sie habe bewiesen, dass sie »immer noch nicht in der sozialen Marktwirtschaft angekommen« sei.
Debatten, von denen große Konzerne betroffen sind, werden meist heftiger geführt als Debatten, in denen bloß immaterielle Werte zur Diskussion stehen. Die Freiheit des Menschen hat konziliantere Anhänger als die Freiheit der Marktwirtschaft. Hubertus Heil ( SPD ) aber könnte sich abarbeiten, woran er wollte, er könnte auch noch mehr entlarvende Artikel aus dem »Tagesspiegel« zitieren, Aufmerksamkeit wird ihm nicht geschenkt. Immer wieder spricht er Umweltminister Altmaier persönlich an, aber der beugt sich gerade lachend über das Handy seines Nachbarn. Abermals wird er angesprochen, lacht aber weiter. Jemand ruft rein: »Der hört doch gar nicht zu.« Ist er es sich schuldig, es weiter nicht zu tun? Gewiss, es geht um die »Zukunft«, aber man kann sie auch ignorieren.
Hinten treffen sich einzelne Abgeordnete zum Klönen. Annette Schavan sitzt isoliert und spart sich den Applaus für die Parteikollegen unter den Rednern auf. Am aggressivsten aber formuliert durchgehend die FDP , war sie doch, so sagen ihre Vertreter, eigentlich immer Vorreiter: Vorreiter Europas, Vorreiter der Energiewende, Vorreiter bei den Mindestlöhnen, Vorreiter bei den Behauptungen und den geschmackvollen Wortspielen. Bärbel Höhns Ausführungen, so Klaus Breil ( FDP ), könne er »nur als höhnisch auffassen«. Wer sich das traut, ist zumindest sprachlich zu allem fähig.
Und so trudelt auch die Debatte rasch in ein Schaulaufen, das skandiert wird von Gesten, Posen, Attitüden. Der Abgeordnete Georg Nüßlein ( CDU / CSU ) kultiviert rhetorische Schwulstformen wie: »Ich sage Ihnen ganz offen: Wir haben zum Thema Energiewende immer klar gesagt, dass sie nicht zum Nulltarif zu haben ist.« Er sei kein »Atomkraft-Lobbyist«, sagt er, doch da er selbst es sagt, ist die Quelle unrein. Die eine Hand hat er in der Tasche, mit der anderen fuhrwerkt er durch die Luft, unterbricht sich selbst durch ein eingestreutes Hohnlachen und wiederholt sicherheitshalber alles, was ihm an sich selbst so gut gefiel. Also alles. Dann dehnt sich dieses Ich immer weiter aus, bis es synonym ist mit der Partei, die auch nichts anderes ist als ein großes »Ich. Ich. Ich.«.
Jetzt spricht Rolf Hempelmann ( SPD ) Altmaier direkt an. Der spaziert gerade langsam in das Halbrund vor dem Rednerpult und gibt jedem einzelnen CDU -Mann in der ersten Reihe die Hand. Immer noch prasseln die Kolonnen angeblich gefälschter, unterschlagener, widersprüchlicher Zahlen über ihn herein. Dann erhebt sich Altmaier wieder, zieht die Hose über das schon lose flatternde Hemd und schwankt zu Bärbel Höhn und stützt sich schwer auf ihren Tisch. Lange wendet er dem Redner den Hintern zu, was dieser erfolglos kommentiert. »Jetzt lieber zuhören, Herr Altmaier!«, ruft auch Hubertus Heil ( SPD ), gleichfalls erfolglos. Wenig später aber, die Debatte läuft noch, sind Altmaier und Heil unter sich, herzlich verbunden.
Komisch, ich mache selten Entdeckungen. Manchmal meine ich, einen überraschenden Redner
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