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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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Unterschied zu anderen bereits gleich zu Beginn dieser Sitzung im Saal war. – Bitte schön.« Und Wolfgang Schäuble hebt an: »Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie sollte ich hier auch reden, wenn ich nicht da wäre!«
    Der Humor im Parlament tritt kathartisch auf, reinigend und erleichternd, aber er ist schwer zu dosieren – zu viel davon, und der Redner ist unseriös, nichts davon, und er ist kompetent. Das Lachen im Parlament enthält den Verweis darauf, dass es eine Wirklichkeit jenseits vom Ernst des Lebens gibt. Andererseits hat sich der Eröffnungs-Gag in so manche Rede geschlichen als eine Anleihe an das Fernsehen, und dann gibt es noch diese eigene Unheimlichkeit des Lachens. Da stehen Redner am Pult, beschwören den Weltuntergang, sammeln Indizien, stellen Hypothesen auf zu Klimaveränderungen, Migrationen, Verteilungskämpfen, und sie lachen dazu, lachen zu jedem Untergang. Es gibt dreihundert Weltuntergangsphantasien, sagte neulich einer, da lachten sie wieder.
    Schäuble ist der Typus Politiker, der die Pointe nicht vorbereitet, eher stößt sie ihm zu. Er hat sich auf die nüchterne Ausbreitung von Sachverstand eingerichtet. Gewohnt, nicht begriffen zu werden, fällt er manchmal ins Didaktische. Sein Weltbild ist ein Kokon, und wo er spricht, tut er es aus dem Inneren dieses Kokons und erntet auch heute keinen einzigen Zwischenruf. Seine Sätze beginnen gern mit »Deshalb sagen wir« oder »Ich will darauf hinweisen« oder »Es leiten uns die folgenden Prinzipien« – lauter Podeste, auf denen Maximen Platz nehmen, künftige Gesetze und Sanktionen, lauter Haltepunkte in einem Fluss, weil wir doch »Schritt für Schritt« gehen und dabei dauernd »Zukunft« produzieren müssen.
    Etwas an dieser Debatte ist leblos, so, als wolle man gar nicht mehr versuchen, eine Diskussion auf den neuesten Stand zu bringen, die keinen neuesten Stand hat. Die SPD beginnt noch einmal damit, wie 2008 die Lehman-Pleite die Finanzmärkte erschütterte, und sie landet bei der Aufforderung, Schäuble solle anfangen, »wirklich zu arbeiten!«. Flau. Wer wollte dem Minister, den man gerade an jedem zweiten Abend in einem anderen Land sehen kann, Faulheit vorwerfen? Man reagiert automatisch psychologisch, bedauert den, der diese Last schultert, seine Strapazen, seine Arbeit mit Zahlen.
    Der Kern der Sache liegt anderswo, weder bei den Regierungsparteien, die sich der Bankenregulierung so lange widersetzten, noch bei der SPD , deren Kandidat als ehemaliger Finanzminister die bestehenden Verhältnisse stabilisierte. Die Kritik trifft das System und muss von einem exterritorialen Standpunkt aus formuliert werden. Wenn also Sahra Wagenknecht darauf hinweist, dass Derivate, »also das, was Warren Buffett finanzielle Massenvernichtungswaffen nannte«, heute »im Nominalwert von 640  Billionen Dollar auf dem Markt« sind, dem Zehnfachen von dem, »was die gesamte Weltwirtschaft an Gütern und Leistungen produziert«, wenn sie den Wunsch der EU -Kommission nach Straffreiheit für betrügerische Banken benennt, wenn sie die Euro-Rettung als eine Bankenrettung beschreibt, dann ist an den Einwürfen ablesbar, dass es um Grundsätzliches geht, dem sachlich offenbar nicht zu begegnen ist. Ich höre »Demagogie!«, »Blödsinn«, »Bullshit-Bingo!« aus dem Plenum.
    Dabei formulieren alle Redebeiträge letztlich den Grundwiderspruch zwischen dem systemkonformen Standpunkt, der die Banken schützt wie etwas Eigenes, und einem systemkritischen Standpunkt, der die Banken als Dienstleister versteht, nicht als Spekulanten. Es muss auch im Parlament erlaubt sein, die Idee eines Landes aufrechtzuerhalten, in dem sich das Gemeinwohl nicht über das Wohl der Banken definiert. Die Debatte, die jetzt geführt werden müsste, wird aus vielen Gründen nicht geführt. Das System begründet sich selbst nicht mehr. Seine Krise, die auch eine Krise seiner »Werte« ist, wurde nicht von der Kritik oder vom Protest ausgelöst, sondern von immanenten Prozessen und dem folgenden Kollaps.
    Wo das Parlament die Bedingungen seines Handelns reflektieren müsste, wird es meist enttäuschen. Statt also die Gelegenheit zu ergreifen, die eigenen Voraussetzungen zu befragen, fährt Gerhard Schick ( B   90 / DIE GRÜNEN ) schlicht realpolitisch fort: »Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Standardvortrag von Sahra Wagenknecht wäre es einmal sinnvoll, über die Anträge und Gesetzentwürfe, die vorliegen, zu sprechen.« Es gibt eben

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