Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
Vom Netzwerk:
stillschweigend zulassen, dass Ihnen im rauen Wettbewerb ein wichtiges Stück Freiheit genommen wird.«
    Da dreht sich selbst von der Leyen weg, blass wie ihr Jackett. Heikel, dass eine Frau am Pult steht, die dort nicht stehen sollte, die jedes Wort abliest, an jedem zweiten Satz scheitert, die Frauenquoten als »Planwirtschaft« bezeichnet und am Ende nichts hinterlässt als ein Befremden darüber, was im Parlament, anders als an fast jedem anderen Ort des Landes, noch sagbar sein soll, und mir fällt Otto von Bismarck ein, der 1884 im Reichstag klagte: »Es gibt kaum ein Wort heutzutage, mit dem mehr Missbrauch getrieben wird, als mit dem Worte ›frei‹.«
    Von der Leyen sitzt wieder reglos. Es ist bemerkenswert. Die Ministerin, um die sich heute alles dreht, wird zum Thema nicht sprechen. Sie wird abends bei »Maybrit Illner« alles sagen, was sie hier nicht gesagt hat. Heißt das, die Talkshow gewährt ihr, was das Parlament ihr nicht gewährt, Redezeit? Und ist es nun unparlamentarisch oder bloß unverblümt, die wichtigsten Dinge zuerst nicht der Volksvertretung, sondern dem politischen Unterhaltungsfernsehen zu sagen?
    Statt von der Leyen also tritt Kristina Schröder ( CDU / CSU ) ans Mikrophon. Angela Merkel kommt rechtzeitig zurück, um zu hören, wie sich die Ministerin als Humoristin versucht. Sie zitiert zwölf Jahre alte Aussagen von Gerhard Schröder, hat entdeckt, dass im Aufsichtsrat von Borussia Dortmund neben Peer Steinbrück fünf Männer sitzen, lobt sich noch ein bisschen selbst und kehrt auf ihren Platz zurück, stolz wie eine, die alles auswendig wusste, und alle lächeln ihr zu. Auch Merkel kommt vorbei, sichtlich zufrieden. Warum? Weil die Gefahr abgewendet ist, dank einer solchen Quote kämen ungeeignete Frauen auf Spitzenpositionen? Oder weil es um all das gar nicht geht, sondern bloß um ein Gesichtwahren in der Gesinnungsblamage?
    Der Himmel trübt sich ein. Plötzlich ist mehr Lampenschein im Raum. Es herrscht ein Halblicht, ein Streulicht, ein Zwielicht. Es liegt da wie eine Lauge, aus der sich etwas materialisieren, ein Medium, in dem sich etwas zeigen könnte. Dies ist in der Tat ein Ort mit eigentümlicher Affektivität. Zugleich ist da dieses weltläufige, sachliche Agieren derer, die alle Schläfer sind und erst am Pult zu großer Erregung, Abstoßung, Mitbewegung kommen. Parlamentarische Sammlung ist nicht zu sehen. Eher korrespondieren sie alle mit ihren Filial-Existenzen.
    Unterdessen werden in der Debatte die Grenzen des Parlamentarismus neu abgeschritten: Nichts bewegt sich. Die wenigen Abweichlerinnen vollziehen weiter den Eiertanz derer, die Gründe gefunden haben, sich gegen die eigene Überzeugung zu entscheiden. Gerade verlassen zwölf Ordensschwestern lächelnd die Zuschauertribüne. Die anschließende Abstimmung geht rasch über die Bühne. Die meisten haben vor der Ergebnisverkündung den Saal bereits verlassen.
    Es folgt aber noch die persönliche Protestnote im Namen von Frauen, die über die Fraktionen hinweg eine »Berliner Erklärung« formulierten. Für diese bleibt heute der »historische Tag« aus. Auch ist der Saal bei der Verlesung nur noch zu einem Drittel gefüllt. Dabei geht es hier einmal um das Übergreifende, echt Parlamentarische, und immerhin stehen vermutlich Millionen von Frauen hinter dieser Erklärung. Ihnen sind heute selbst Frauen aus den eigenen Reihen in den Rücken gefallen. Von der Leyen ist nicht zugegen, Merkel nicht, Schröder nicht. Es ist eine gute Erklärung. Das Ergebnis der Abstimmung besagt: Aus der Regierungskoalition hat sich genau eine Person enthalten. Sonst bleibt alles beim Alten.
    Schaut man in die Zeitung, so war das heute eine leidenschaftliche, turbulente, heftige Auseinandersetzung um die Frauenquote. Saß man dabei, war es ein inszenierter, durchchoreographierter Schwank, aus dem sich einzelne Redebeiträge wie Fontänen erhoben. Andererseits: Was habe ich denn erwartet? Dass sich das Parlament mit jeder Sitzung wieder selbst begründet? Dass jemand nicht weiter weiß, zusammenbricht, weint? Dass es zu Entgleisungen kommt? Nein, die Entscheidungswege sind ausgetreten, die Rituale triumphieren und unterwerfen sich der Dramaturgie aus dem Hinterzimmer.
    Es ist 17  Uhr  19 . »Die Gestaltung der Teilzeitarbeit« wird angekündigt. Für eine Weile höre ich zu, fasziniert vom Anblick der betrachtenden Gesichter, alle in einem Sicherheitsabstand zum Thema. Ein Gesicht ist gerade ländlich, eines frömmelt, eines sucht

Weitere Kostenlose Bücher