Das Hohe Haus
Applaus und auch von den eigenen Leuten nur den leisest möglichen.
Man beherrscht die Rage gegenüber den Linken im Schlaf. Ein systemkritischer Einwand aus den eigenen Reihen allerdings überfordert selbst die Logik des Applauses. Der junge FDP -Mann ist sich seiner Sache auch einfach zu sicher, während seine konservativen Altersgenossen eher gelernt haben zu sagen, »dass dieser Weg richtig ist …«, weil der andere »Weg falsch ist«, weshalb wir »diesen Weg (…) weiter beschreiten« werden. Sie alle lieben den Weg. Er schützt als vages Sinnbild das »Weiter so«. Ja, es gibt sie in allen Parteien, die Yuppies der neuen Generation. Zuerst haben sie sich wohl einen Habitus zugelegt, dann eine Haltung, und man kann immer sicher sein, auf eine sprachliche Unsicherheit folgt ein umso stärkerer Überzeugungsausbruch, das Herausstreichen von einem »ganz wichtigen Punkt« oder gleich die Anmaßungsrhetorik des Notenverteilens an Nationen.
Der Saal gärt, aus der Perspektive der Tribüne herrscht die große Unübersichtlichkeit. Niemand wird viel von dem hier Behaupteten beurteilen können. Wer hat was wann gesagt? Was wurde wo entschieden? Wer hat zuerst behauptet, dass …? Die Kohorten der Statistiken kollidieren, die Quellen laufen ineinander. Das Flussbett, durch das sich der Redestrom wälzt, hat zwei Ufer: Selbstlob und die Herabsetzung des Gegners.
Ich habe in diesem Jahr keinen Regierungsvertreter verunsichert erlebt, auch nicht in der Krise um »Euro Hawk« und Frauenquoten. Die Sicherheit von Ministern hat aber auch mit ihrer Unangefochtenheit zu tun. Am interessantesten sind Debatten immer, wenn Abweichler auftreten, den Fraktionsfrieden gefährden und neuen Standpunkten die Bahn bereiten. Deshalb ist in toto die Linke das am wenigsten verzichtbare Element, und deshalb ist jeder Moment, in dem das Parlament seine triste Stabilität einbüßt, einer, in dem der Parlamentarismus strahlt, weil seine reine Idee zutage tritt. Das ist keine romantische Idee, sie liegt nicht einmal fern aller realpolitischen Möglichkeiten.
Der Geräuschpegel im Saal steigt weiter an, eine namentliche Abstimmung steht bevor. Der Redner ist jetzt eine lästige Geräuschquelle, gegen die es sich durchzusetzen gilt. Auch die Tribünen halten nicht mehr still, das Plenum füllt sich. Bartholomäus Kalb ( CDU / CSU ) am Rednerpult spricht gerade von seiner Mutter, die immer sagte, »mit Geld spielt man nicht«. Da ist selbst Vizepräsident Wolfgang Thierse in heitere Zwiegespräche vertieft, und die Rede des Abgeordneten versinkt immer tiefer im akustischen Hintergrund. Der Redner röchelt seine Vokale, wiederholt abermals, dass wir mit dem Geld sorgfältig umgehen müssten, wie er selbst, so sagt er, schon oft gesagt habe, deshalb sagt er es noch einmal. Napoleon behauptete einst: »Die einzige rhetorische Figur, die ich kenne, ist die Wiederholung.« Mancher im Parlament redet, als müsse er Soldaten für den Kampf motivieren.
Es sei, so Michael Stübgen ( CDU / CSU ), eine besondere Herausforderung, vor der namentlichen Abstimmung zu reden, aber: »Ich nehme diese Herausforderung an.« Das ist heroisch, ignoriert wird er trotzdem. Merkel steht mit dem Rücken zum Podium und beschwört Westerwelle. Fotografen schrauben an ihren Objektiven herum, das Haus ist komplett. Ein weißer Blumenstrauß in der Vase steht auf dem Platz, der Ottmar Schreiners war. Jemand von der »heute-show« irrt über die Tribüne. »Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit«, schließt der Redner. Niemand kommentiert diesen Hohn.
Die eigentliche Aufmerksamkeit an diesem Sitzungstag aber zieht das nächste Thema auf sich, die Frauenquote in Führungsgremien. Die EU -Kommissarin Viviane Reding, eine Konservative, will sie in Europa durchsetzen. In Frankreich, Spanien, Italien, Belgien, den Niederlanden und Island existiert sie schon. Die Regierungskoalition hat dreieinhalb Jahre lang verhandelt, dann versprochen, einem Kompromiss zuzustimmen, den der Bundesrat vorschlug. Am Ende hat Ursula von der Leyen Abstand vom eigenen Vorschlag genommen und ist auf die Fraktionslinie gegen den Kompromiss eingeschwenkt. Sie wird heute als »Umfallerin« betitelt, alle Augen sind auf ihr. Brüche werden sichtbar – zwischen Merkel und ihr, zwischen den enttäuschten Frauen, die mit ihr in allen Parteien für den Kompromiss gestritten haben. Diese Frauen hatten zur heutigen Abstimmung schon den Sekt kalt gestellt. Jetzt sollen sie am Rednerinnenpult dennoch gute
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