Das Hohe Haus
Und so festigt sich nach Monaten der Eindruck: Jeder Standpunkt ist präsent, jeder vertretbar, jeder kann rhetorisch sinnvoll durchdekliniert und bei Bedarf verraten werden. Und die Bevölkerung? Sie wird zwar immer glauben, belogen zu werden, zugleich aber jedes Wort für bare Münze nehmen. Sie wird sich aus dem Fundus der Floskeln bedienen und Rednerinnen und Redner mit Glauben adeln oder nicht. »Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen«, sagen diese, weil sie nicht ehrlich sind, »ich sage es Ihnen offen«, weil sie nicht offen sein dürfen, »in aller Deutlichkeit«, weil sie wolkig klingen.
Im Plenum rüsten sich die Abgeordneten eben für die angekündigte »umfassende Debatte zum Thema Kampfdrohnen«. Man sei an einer Entscheidung vor der Bundestagswahl nicht interessiert, so hat Agnes Brugger ( B 90 / DIE GRÜNEN ) aus den Reihen der Regierungskoalition intern erfahren, da das Thema »wegen der völkerrechtlichen Diskussion emotional zu stark besetzt« sei. Wenig später habe auch der Verteidigungsminister die Diskussion um die Bewaffnung der Bundeswehr durch Drohnen auf einen Zeitpunkt nach der Wahl verlegt. Die Rednerin rekapituliert trotzdem schon einmal die Auffassung des UN -Sonderberichterstatters Alston: Die Verfügbarkeit bewaffneter Drohnen, so hatte der Verbündete gesagt, befördere »das Risiko, dass die Hemmschwelle zum Einsatz von militärischer Gewalt« sinke. Ich erinnere mich, wie vor Wochen der Verteidigungsminister diese Position in aller Schärfe als Verunglimpfung der Truppe gegeißelt hatte. Der Antrag der Rednerin bittet um nicht mehr, »als ethische, menschen- und völkerrechtliche Fragen in Bezug auf den Einsatz bewaffneter unbemannter Systeme zu prüfen und zu diskutieren«. Die Regierungskoalition lehnt dies ab.
Drei Reihen Bundeswehrsoldaten sitzen auf der Pressetribüne unbewegt. Der nächste Redner, der CDU / CSU -Abgeordnete Florian Hahn, ist eben ans Pult getreten, als sich von der Publikumstribüne vier Aktivisten erheben, eine unverständliche Parole in den Saal schreien und ihre symbolisch rotgefärbten Handflächen gegen die Hochrüstung der Bundeswehr und die Kriegspolitik erheben – ein Zwanzig-Sekunden-Protest, den Florian Hahn mit dem Satz kommentiert: »Das ist nicht demokratisch, was Sie hier auf der Besuchertribüne tun. Setzen Sie sich bitte hin, und folgen Sie einfach der Diskussion«, worauf Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt anschließt: »Ich bitte Sie, die Besuchertribüne zu verlassen.« Aber da haben die Sicherheitskräfte schon zugepackt und die zappelnden Demonstranten aus dem Saal spediert. Es ist in Monaten der einzige Zwischenfall, die erste Situation, bei der der Protest nicht vor der Tür geblieben ist, und er ist zu schnell vorbei, um von Fernsehkameras eingefangen zu werden. Eine solche Aktion wäre den GRÜNEN mal sympathisch gewesen, heute aber werden diese Friedensaktivisten von einer Grünen-Präsidentin des Saals verwiesen und von einem CSU -Mann belehrt, was »demokratisch« ist. Menschenrechte sind einfach schwerer zu verteidigen als die Hausordnung des Bundestags.
Nicht minder aussagekräftig ist es, dass die Demonstranten ihre blutbeschmierten Hände gerade in dem Moment zeigten, als mit Florian Hahn der entschiedenste Parteigänger dieser Waffentechnologie ans Rednerpult trat. Er spricht von den »Chancen und Möglichkeiten« der Drohnen, von der Notwendigkeit, diese Technologie, die bereits in der Entwicklung sei, selbst zu beherrschen und sich nicht von anderen abhängig zu machen, er räumt ein: »Natürlich gibt es wie bei jedem Waffensystem Nachteile. Die wollen wir auch nicht unter den Teppich kehren.«
Nichts in dieser Rede verrät, dass es um Leben und Tod geht, dass im Augenblick, in dem er redet, Drohnen eingesetzt werden, die weder »völkerrechtlich legitimiert« noch »ethisch abgewogen« sind. Die Rede hat sich von ihrem Gegenstand so weit gelöst, dass sie auch Persiflage sein könnte. Auf der Bundeswehrtribüne wird zustimmend genickt. Warum nur fühlt sich diese Bundeswehr so verpflichtet, jedem militaristischen Standpunkt gegenüber so loyal zu sein, als vertrete er ihre Interessen?
Der Redner der SPD spricht glanzlos, bürokratisch. Verteidigungsminister de Maizière hört seinen Namen zwar, arbeitet aber mit den Fingernägeln an einem Fleck auf seiner roten Krawatte. Zwei Liebespaare betreten gerade die Tribüne, sie kommen Hand in Hand, während unten von Drohnen gesprochen wird. Die nächste Rednerin
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