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Das Hohe Haus

Das Hohe Haus

Titel: Das Hohe Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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gehört der FDP an und belehrt das Plenum zu den Themen Debattenkultur und Al-Qaida. Als Christian Ströbele eine kritische Zwischenfrage formuliert, wenden sich ihm viele Köpfe zu. Er war schon zuvor von der Rednerin larmoyant als »junger Mann« bezeichnet worden. Zwischendurch applaudieren ihm einzig ein paar Abgeordnete der Linken, zuletzt dann immerhin Teile der eigenen Fraktion und die Mehrheit der Linken.
    Die Rednerin erwidert. Was andere als »Lebensraum« bezeichnen würden, nennt sie ein »Einsatzsegment«. Das macht es den Drohnen leichter. Als anschließend Jan van Aken ( DIE LINKE ) jene Einsatzgebiete der Kampfdrohnen aufzählt, in denen niemals bemannte Einsätze geflogen würden, ist dies auch ein Widerspruch gegen die SPD , die am liebsten erst nach der Wahl entschiede. In seiner Argumentationsnot zitiert Bernd Siebert ( CDU / CSU ) schließlich Umfragen, nach denen über siebzig Prozent der Bevölkerung dieser Technologie positiv gegenüberstehen. Wie tief in der Defensive muss man sich befinden, wenn man die Volksmeinung zu einer Waffentechnologie befragt?
    Kristina Schröder trifft ein, schwarz gekleidet wie in Trauer. Sie stützt den Kopf auf, hebt ihre Knie bis zur Kante der Regierungsbank, niest laut und zuckt selbst zusammen über das Geräusch.
    Inzwischen verhandelt man das »Conterganstiftungsgesetz«. Dorothee Bär ( CDU / CSU ) leiert ihre Sache herunter, nummeriert die Vorteile der Gesetzesänderung. Nur der »Kollege Seifert« von der Linken unterbricht sie beharrlich mit seinen Zwischenrufen. Er sitzt ganz allein, breit im blauen Pullover, vier Bänke hinter seinen Kollegen. Erst als sich jemand zu seinen Füßen zu schaffen macht, erkennt man, dass er im Rollstuhl sitzt. Einmal ruft er, dass die Abstimmung doch ohnehin einstimmig sein werde. Also führen sie die Auseinandersetzung für wen, und hat das Einfluss auf ihren Stil? Kaum.
    Das Abendlicht liegt jetzt in warmen Flecken auf dem Plenum, es reflektiert vom Rednerpult. Jede Partei muss nun noch einmal sagen, warum sie für das Conterganstiftungsgesetz ist, alle danken allen, die an diesem Resultat mitgearbeitet haben. Die Rednerin trägt ein Fünfzigerjahrekleid in Ocker, Schwarz und Weiß. In diesem Augenblick, in dem auch noch die Tribünenbesucher ausgetauscht werden, hört niemand mehr zu. Die Rede ist gerade von der »schweren Schädigung der Wirbelsäule«. Es gibt ein deutliches Missverhältnis zwischen der Empathie für die Contergan-Geschädigten und der für die fast unsichtbaren Opfer der Drohnenangriffe. Die Rednerin ist gerade im falschen Absatz, verliest sich, schwankt vom Pult zu ihrem Platz wie bei Seegang.
    Als Ilja Seifert ( DIE LINKE ) in seinem Rollstuhl an das Pult gefahren ist, eröffnet er die Debatte neu und verzichtet auf Redundanzen. Er fordert eine Entschuldigung ein, wirft Fragen auf, die nicht beantwortet sind und die nun fast querulantisch wirken, nachdem alle schon so zufrieden schienen. Auf viel Ungelöstes weist er hin. Das ist gut und richtig, und auch wenn Frau Schröder nun wieder durch das Netz surft, hat er in der Sache alle Aufmerksamkeit verdient, spricht er doch von Einschränkungen, die er selbst kennt. Ja, er trägt den Gesetzentwurf mit, zeigt sich aber unzufrieden mit der eigenen Entscheidung, aus Skepsis gegenüber der Exekutive. Allen Applaus hat er verdient, erhält ihn aber nur von den vier Abgeordneten der Linken. Das ist borniert. Aber das Parlament zeigt sich in diesen Dingen oft stolz borniert.
    Guido Westerwelle trifft ein, setzt sich auf seinen Sitz, belobigt jemanden im Plenum mit gerecktem Daumen. Vizepräsident Solms leiert die Beschlussempfehlung herunter, Frau Schröder packt ihre rote Tasche, das Gesetz ist in dritter Lesung angenommen. Westerwelle befeuchtet den Finger zum Studium einer Akte über die Piraterie vor Somalia. Das Haus ist erstaunlich voll für die Zeit, es ist kurz vor 20  Uhr. Seeräuber hin oder her, die Angehörigen der Bundeswehr gehen, die Minister folgen.

Mittwoch, 15 . Mai, 9  Uhr
    Forscher entdecken zwei erdähnliche Planeten. In den Niederlanden wird der Thronwechsel vollzogen. Die Posse um die Verlosung der Plätze im Münchner NSU -Prozess hält an. Beate Zschäpe wird wegen Fluchtgefahr gefesselt in den Verhandlungssaal geführt. Bayerische Abgeordnete beschäftigen Verwandte, Horst Tappert war bei der Waffen- SS .
    Ein Schwätzchen mit dem Sicherheitsbeamten an der Schleuse, ein Nicken den beiden Assistentinnen im Aufzug zur

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