Das Hohe Haus
Minister geendet, wendet sich ihm Merkel zu, lobend und lächelnd. Während dann der SPD -Redner opponiert, verlassen zahlreiche Abgeordnete den Saal. Von der Leyen charmiert, Merkel erhebt sich, redet mit gleich mehreren auf der Regierungsbank. Der Redner steigert sich, sagt »Mogelpackung«, sagt »Reformruine«. De Maizière wendet sich dauerhaft den hinter ihm Sitzenden zu, während der Redner jetzt einen Täuschungsvorwurf gegen ihn erhebt. Die Moral bewegt sich im Vakuum. Ungeheuerlich die Vorwürfe, ausgelassen die Stimmung. Ursula von der Leyen empfängt lächelnd, ihr Charme erreicht die Tribünen.
Auch der Oppositionsredner deutet jetzt die Soldaten, spricht mit ihrer Stimme. Es ist ein einziges Buhlen. Eine Kamera nähert sich und filmt die jetzt aufmerksam-fotogenen Gesichter der Uniformierten auf der Tribüne. In seiner Inständigkeit geht der Redner in die Knie, feuert eine rhetorische Frage nach der anderen ab: »Macht Ihnen das keine Sorge?«, noch mal: »Macht Ihnen das keine Sorge?« Von Sorge keine Spur. Vierzig Minuten nach Beginn der Debatte fehlen Merkel und die meisten Kabinettsmitglieder. Die Tribünen dagegen sind dicht besetzt. Selbst Journalisten sind gekommen, schreiben in Kladden, halten Mikrophone in Richtung des Plenums wie zum Lauschangriff, während sich unten die Reihen weiter lichten. Dort hält Elke Hoff ( FDP ) gerade ihre letzte parlamentarische Rede. Als sie sagt, »die Soldaten brauchen uns alle«, brandet frenetischer Applaus auf. Dann salutiert sie gut militärisch: »Ich melde mich ab.« Hinter ihr Sitzende ergreifen ihre Hand, Lammert würdigt sie, sie verneigt sich darauf seltsam buddhistisch mit den gefalteten Händen vor der Stirn. De Maizière verlässt die Regierungsbank und küsst sie auf beide Wangen.
Unterdessen spricht Paul Schäfer ( DIE LINKE ) endlich das Desaster um den »Euro Hawk« an. Aber der Minister plaudert gerade mit Kristina Schröder. Als sie geht, wendet sich de Maizière, wiewohl gerade angesprochen, seinem nächsten Gesprächspartner zu. Die Sitzung ist eine Stunde alt, das Plenum zerfällt. Annette Schavan schleppt sich aus dem Saal, die heranfliegenden Hände schüttelnd. Brüderle hat ein Kränzchen von Adepten um sich versammelt, die ihm minutenlang beipflichten.
Am Pult arbeitet sich eben ein Hinterbänkler der CDU an den »empfindlichen europäischen Fähigkeitsverlusten« und den eigenen Visionen ab. Man sage nicht, hier habe niemand Visionen. Sie trudeln geradezu frei im Orbit des Meinens und Wünschens, der fiktiven Ängste und der Beantwortungen dieser Ängste, der Hoffnungen und Bedrohungen. Das alles ist quasi religiös, ist Teil des »Glaubens«. Aber das Parlament ist gerade desinteressiert. Nicht mal die eigene Fraktion hört den Visionen des Mannes zu, der mit weit vorgestreckten Kopfbewegungen seine Rede prononciert. Auch der zuständige Minister liest lieber etwas anderes, während sich der Redner müht und müht und den Anschein der Beflissenheit doch nicht mindern kann. Es gibt eben neben der Sache immer noch die Person, und diese wird aufgefangen vom zustimmenden Händedruck des Volker Kauder.
Es stehen ja hier fünfhundert Millionen Euro Steuergelder im Raum, die irgendwo zwischen den Verteidigungsministern Scharping, Jung, Struck, Guttenberg und de Maizière verlorengegangen sind, und erstaunlich ist nicht der Bezichtigungswirrwarr, sondern wie gelassen der Verlust toleriert wird. Dem uneingeweihten Zuschauer könnte die Debatte verraten, wie entspannt sich der Umgang mit Steuergeld vollzieht, zumal offenbar nicht einmal der Rechnungshof Einsicht gewinnen konnte. »Geheimhaltung«, »Sicherheitsbedenken« bauen sich vor dem legitimen Aufklärungsbegehren auf.
Die Vorwürfe der Opposition prasseln nieder, Zwischenrufe kommen nicht. Das Schweigen auf der Seite der Regierung wirkt weniger schuldbewusst als unbeeindruckt. Es entsteht keine Vorstellung von dem, was man mit einer solchen Summe hätte machen können, kein Blick auf das, was andernorts eingespart werden muss. Es ist Schwund, die Sünde bleibt lässlich. Hans-Peter Bartels ( SPD ) greift eben die Seriosität des Ministers an, der an dieser Stelle seine Augen reibt, müde, erschöpft, genervt. Dann taucht er mit neutralem Gesicht aus den eigenen Händen wieder auf, der Blick geht stumpf zum Rednerpult und verliert sich im Nichts.
Dass es in der Debatte auch um die Vernichtung oder die Verteidigung von Leben geht, ist hinter dem Jargon aus »Interoperabilität«,
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