Das Hohe Haus
nicht frei herumlaufen. Bevor es zum Parlament zugelassen werden kann, wird es von der Partei aufgefangen, kanalisiert, vorsortiert. Die Partei dient also als zentrale Vermittlungsstelle zwischen der Bevölkerung und dem Parlament. Nur wo es dramatische Sitzungen gibt und das Gewissen vor die Politik gestellt wird, erscheint noch einmal das Alte: »Jeder Abgeordnete ist bloß seinem Gewissen unterworfen«, und man fragt sich: Wo irritiert das noch die Routine des Politikers, wo nicht?
Gauweiler weiß, was er seiner Partei schuldet, aber er gibt ihr nicht alles. Da steht er, der rotgesichtige Veteran, ein Schlachtross der konservativen Sache, die ihn an fast jede Seite im Parlament treiben kann, steht da im dunklen Anzug mit grüner Krawatte, und bekommt auch heute Applaus vor allem von Sozialdemokraten, Grünen und Linken. Er ketzert, nimmt das Recht für sich in Anspruch, jenseits von Parteien zu argumentieren. Gemessen an den Gewohnheiten des Parlaments ist sein Slalom rasant: Erst lobt er die sozialdemokratische Vorrednerin Ulla Schmidt, dann bezieht er ausdrücklich die Linke ein in der gemeinsamen Verurteilung eines ägyptischen Gerichtsurteils gegen den Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung und drängt auf Konsequenzen. Dann relativiert er die Kritik an Westerwelle und differenziert »Konfliktprävention« durch Kultur und ihre »Brückenfunktion« von der Bibliothek in Nordkorea über das neue Goethe-Institut in Teheran bis zu Richard Wagner in Havanna, gefolgt von einer leisen Kritik am Programm der Deutschen Welle.
Er ist kundig, unverblümt und entwaffnend: »Wir haben diese vier Jahre intensiv – in Anhörungen, durch Einladungen, Gespräche, Besuche, Kongresse; das war alles sehr interessant, sonst hätte ich gesagt, dass es mir zum Halse heraushängt – dazu genutzt, die Dinge im Einzelnen nach vorne zu bringen und zu behandeln. Daraus wurde dann nach langen, qualvollen Reden ein Entwurf für ein Gesetz.« Er verwahrt sich gegen Einschnitte in Kulturbudgets durch Leute, die keine Mühe haben, »innerhalb von dreißig Minuten Bürgschaften in Höhe von 190 Milliarden Euro« für Banken zu beschließen. Er ruft den Applaudierenden zu: »Ihr seid meine Freunde.« Der Beifall, den er zuletzt erhält, ist allgemein. Die einen geben ihm recht, die anderen beklatschen in ihm eine andere Zeit des Parlaments.
Ihren Abschied nimmt auch Luc Jochimsen ( DIE LINKE ). Tief gebeugt über ihr Manuskript, erzählt sie die Geschichte des Goethe-Instituts in New York, die Geschichte davon, wie die Wirtschaft annektieren möchte, was der Kultur gehören sollte, oder, wie Claudia Roth ( B 90 / DIE GRÜNEN ) es später formulieren wird, »die Umfunktionierung des Goethe-Instituts in der Fifth Avenue in New York in eine Businesslounge«. Auch wenn die Zerstreuung im Raum gerade wächst, möchte Jochimsen dem Plenum doch noch eine Idee mitgeben, eine Art Vermächtnis: »Machen Sie nicht so weiter wie bisher. Machen Sie etwas Neues. Schaffen Sie für die Zukunft ein veritables Kulturministerium mit nationalen wie internationalen Aufgaben.« Mehr Abschied leistet sie sich nicht.
Mit Peter Gauweiler mag Claudia Roth ( B 90 / DIE GRÜNEN ) ideologisch wenig gemeinsam haben, doch teilt sie mit ihm den humanitären Gedanken, Sachkenntnis, Auslandserfahrung und die Tapferkeit vor dem Feind, sei es in Krisengebieten, sei es im Parlament. Schon mit dem ersten Satz klingt ihre Stimme so durchdringend, als müsse sie sich gegen Zwischenrufe durchsetzen, und sie muss. Eine Zwischenfrage wird unverhohlen animos formuliert, die Antwort vom Gerüpel der FDP -Abgeordneten chorisch unterbrochen. Für ihre Überzeugungskraft aber bekommt sie temporär selbst Beifall von den Regierungsparteien, und als sie abtritt, empfängt sie Getätschel. Später wird sie nach hinten gehen, sich mit Gauweiler im Gang treffen und ihm herzlich beide Hände schütteln. Dann kommt Renate Künast an ihren Platz, sie vergleichen ihre Kleider, indem sie sich wechselseitig an den Joppen zuppeln, und was folgt, sieht nach »girl talk« aus.
Der Redner und der Saal: Der Redner ist still, folgt seiner Schnur, bleibt am Text, trägt Unbeirrbarkeit vor. Der Saal dagegen ist beredt, gestikuliert mimisch, wirkt unvorhersehbar. Plötzlich kommt irgendwo die Erregung her, steigt auf und entlädt sich, ehe sie verläppert.
Auch Monika Grütters ( CDU / CSU ), eine Professorin im grauen Anzug mit Perlenkette, spricht unter hohem Kraftaufwand gegen den
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